Abendzeitung vom 31.10.2023

Gänsehaut und mal ein Tränchen Entspannt sitzt Howard Carpendale im ViscontiSalon im Bayerischen Hof. Sein neues Album „Let’s Do It Again“ läuft bei den Streamingdiensten bestens, wenige Tage zuvor hat er Ausschnitte daraus in einemMünchner Kino präsentiert und kleine Geschichten zu den einzelnen Titeln erzählt. Nächstes Jahr geht er wieder auf Tour. Alles wie immer. Aber nicht mehr lange: Die Musikbranche ändert sich gerade drastisch, die Zeit der Alben ist vorbei. AZ: Herr Carpendale, wann haben Sie zuletzt mit Roland Kaiser einen Kaffee getrunken? HOWARD CARPENDALE: Noch nie. Wir sind nicht verfeindet oder irgendwas. Er fing etwa sieben, acht Jahre später an, und wir haben uns oft bei der ZDF-„Hitparade“ gesehen. Jetzt treffen wir uns wieder öfter bei Veranstaltungen. Ich trinke keinen Kaffee, aber das hat mit Roland nichts zu tun. Ich komme darauf, weil Sie und Roland Kaiser – wie Ihr Sohn Wayne neulich bei der Verleihung der Goldenen Ehren-Henne an Sie sagte – für viele Menschen immer schon da waren. Und jetzt haben Sie angekündigt, keine weiteren Alben zu machen. Ich glaube, kaum einer wird in zwei, drei Jahren noch Alben machen, weil es sich für Plattenfirmen einfach nicht lohnt, sie zu produzieren. Und ich wollte gerne selber sagen, wann ich damit aufhöre, und nicht von deren Seite hören, wir machen es nicht mehr. Kommen stattdessen einzelne Lieder, die durch die Kanäle gejagt werden? Das ist wahrscheinlich, was bleibt. Aber wir haben, glaube ich, eine Menge Überraschungen vor uns. Streaming ist offensichtlich für das Publikum etwas Wunderbares, aber für Komponisten und Texter und so weiter ist es knallhart, besonders wenn sie gerade erst anfangen. Es geht eigentlich nur noch ums Live-Spielen. Neulich haben Sie angekündigt, Sie wollen auf der Bühne stehen, solange es überhaupt geht. Aber auch da machen wir uns natürlich Gedanken, wie LiveVeranstaltungen in Zukunft sein werden. Das Publikum muss sich angesichts der ganzen technischen Möglichkeiten heute fragen: Ist das, was ich höre, überhaupt live? Ich kann nur sagen: Ich und meine Band, wir spielen live. Ein Konzert soll live sein. Ich glaube, es ist meine letzte Tournee durch große Arenen. Allein schon wegen der Klimaprobleme, der Stromverbrauch, zehn Sattelschlepper, die das Equipment herumfahren. Da passiert auch vieles, womit wir im Moment nicht rechnen können. Das wäre das Ende aller Konzerte im großen Rahmen. Vielleicht werden wir mehr Las-Vegas-Konzerte haben, wenn ein Künstler sagt: Ich bleibe mal einen Monat in einer 2000-Personen-Halle. Das ist schwer einzuschätzen. Ist das Künstlerleben einsamer geworden, seit man bei der Produktion nur noch Dateien um die Welt schickt, statt gemeinsam im Studio zu stehen? Man sieht kaum Musiker im Studio. Einsamer würde ich nicht sagen, ich arbeite sowieso gerne nur mit einem Techniker. Die meisten meiner Titel werden in Husum von Thorsten Brötzmann produziert. Bei diesem Album hat er auch gemischt. Meine drei Philharmonic-Orchestra-Alben habe ich alleine mit Wolfgang Moroder gemischt, dem Neffen des großen Giorgio Moroder. Wie entsteht ein Song von Howard Carpendale? Es hat sich sehr verändert über die Jahre. In den 60er Jahren hatte ich Produzenten, die mir zugeteilt wurden und die kein richtiges Bild davon hatten, wo ich hinwollte. Das klang weder authentisch, noch hat es mir viel Spaß gemacht. Bis zu meinem ersten selbstgeschriebenen Titel, „Da nahm er seine Gitarre“ 1974, haben andere für mich gearbeitet. Darunter war „Das schöne Mädchen von Seite 1“, was der große Anfang für mich war. Dann habe ich lange, lange Zeit alle meine Lieder zusammen mit meinem guten Freund Joachim Horn-Bernges komponiert. Fred Jay aus München hat getextet – er war für mich der beste Texter, den wir jemals in Deutschland hatten. Als er starb, hat Joachim Horn das übernommen. Ich glaube, ich darf es sagen: Meine Texte waren mit die besten, die es in Deutschland gibt, wegen dieser beiden Herren. Ich habe engen Kontakt zu den Leuten, die meine Texte schreiben. Ich erzähle ihnen, was mich im Leben im Moment bewegt, daraus entstehen die Texte. Singen Sie eigentlich unter der Dusche Ihre eigenen Lieder? Nein, ich bade nur, und da überlege ich eher, was an meinem Golfschwung nicht stimmt oder so. Aber ich singe zu Hause nicht. Was ich gerne mache, um die Stimmbänder zu trainieren: Ich setze mich ins Auto und singe zum Radio mit. Haben Sie je eine Gesangsausbildung gemacht? Nein. Für Klassik ist das notwendig. Man ist in Deutschland immer geneigt zu denken, Stimmen seien so unglaublich wichtig. Wenn ich an unsere größten Künstler denke, das sind viel mehr Persönlichkeiten als die größten Sänger aller Zeiten. Wenn Udo Lindenberg, um ein Beispiel zu nennen, bei „The Voice“ auftreten würde – ich glaube nicht, dass er sehr weit käme. Dabei ist er eine Persönlichkeit, und man muss unglaublich schätzen, was er alles geleistet hat. Auch einer, der schon immer da war. Auf „Let’s Do It Again“ covern Sie Gino Vannellis „Wild Horses“. Von allenMilliarden Titel, die es gibt, ist das mein Lieblingslied. Es ist sexy, es ist heute noch modern, obwohl es 1987 ein Nummer-eins-Hit in einem einzigen Land war, und das war Südafrika. Ich lebe mit dieser Nummer im Geiste schon seit vielen Jahren. Und mein Manager hat netterweise zu mir gesagt: Dann sing es doch. Da scheint eine neue Facette von Ihnen auf. Ich höre wahnsinnig gerne und viel Popmusik. Man denkt vielleicht, jemand, der nur Schlager gesungen hat, lebt ganz in dieser Welt. Aber ich liebe Heavy Metal genauso, wenn er gut ist. Ich habe als Kind – keine Angst, jetzt kommt keine Psycho-Nummer – Ihr Lied „Nachts, wenn alles schläft“ ungefähr zur selben Zeit kennengelernt wie die Parodie von Mike Krüger. Ist eine Parodie für Sie eine Ehrung, oder sind Sie auch gekränkt? Es gibt so viele, die mich über die Jahre nachgemacht haben. Nein, ich habe überhaupt kein Problem damit, ich finde das schön. Ob ich alle gut oder sinnvoll fand, ist eine andere Frage. Der lustigste war Matze Knop. Mit Mike Krüger teilen Sie auch die Leidenschaft für den Golfsport ... ... er spielt sehr gerne, ja. Ob auch so gerne wie ich? Sport spielt eine große Rolle in Ihrem Leben. Ich habe eine Phase in meinem Leben gehabt, in der ich jeden Tag gespielt habe. Das ist in den letzten eineinhalb Jahren weniger geworden, weil ich nach einer so langen Karriere das Bedürfnis hatte, einen Weg zum Ende zu finden, der mir gefällt. Und imMoment sind wir genau auf diesem Weg. Es läuft, wie ich es überhaupt nie erwartet hätte. Wir haben im Moment sieben Titel vom aktuellen Album in den obersten 60 Downloads. Früher war ich froh, wenn ich einen geschafft habe. Was da los ist, ist mir ein bisschen fremd. Ich komme mir vor wie Taylor Swift. Bitte schreiben Sie dahinter: „Lacht“. ImMai sind Sie in der Münchner Olympiahalle. Sie haben bei der Vorstellung Ihres neuen Albums vor einigen Wochen hier in München gesagt, die Vorbereitung für eine Show beschäftigt Sie noch im Traum. Was macht eine gute Show aus? Die verschiedenen emotionalen Facetten. Ein Konzert ist für mich nicht, seine größten Hits zu singen, auch wenn wir damit schon drei, vier Stunden füllen könnten. Ein Konzert ist, die Leute auf eine Reise mitzunehmen, bei der sie mit Freude tanzen, mitklatschen, mitsingen, auch mal ein Tränchen dazwischen und Gänsehaut. Früher haben viele Menschen Schlager ironisch gehört, als Partymusik, heute ist die Ironie bei vielen verflogen – und der Schlager ist immer noch da. Als ich in den 60ern nach Deutschland kam, gab es nur Schlager. Ich habe zwei Jahre in England gewohnt – die Beatles, die Stones, Elvis, das war meine Musik. Dann komme ich nach Deutschland: Vico Torriani und Peter Alexander waren die Topstars. Um etwas Geld zu verdienen, habe ich aber mitgemacht und richtig heavy Schlager gesungen – bis hin zu Texten, wo ich gesagt habe, das geht zu weit. Bis Mitte der 80er war Schlager eine ganz wichtige Form von Musik in Deutschland, dann kam die Neue Deutsche Welle und die Ironie. Bei Dieter Thomas Heck in der ZDF-„Hitparade“ kam beides zusammen. Bei der ZDF-„Hitparade“ wurde diese Ironie von der einen Hälfte gehasst, die anderen haben es geliebt. Wir sind damals vor 25 Millionen Menschen aufgetreten. Das war schwer zu erklären, was für Gefühle wir hatten, wenn wir das Mikro in der Hand hielten – und hinter dieser Kamera saßen mehr als 20 Millionen Menschen. Das werden wir nie wieder erleben. Deutscher Schlager war Anfang der 90er Jahre ziemlich verschwunden. Wir haben alle Helene Fischer ein bisschen zu danken, dass sie den Schlager salonfähiger gemacht hat. Mit ihrer Art, ihrem Aussehen. Sie hat die Akrobatik nach Deutschland gebracht. Dazu kam dann dieser unglaubliche Erfolg. Das hat dem Schlager sehr geholfen. Wie halten Sie sich fit für eine mehrstündige Show? Das Problem sind nicht die drei Stunden auf der Bühne, es ist die ewige Fahrerei. Ich habe gerade eine Open-Air-Tournee gemacht, da sind wir 16 000 Kilometer in sechs, sieben Wochen gefahren, das ist anstrengend. Am 18. Mai sind Sie in der Olympiahalle ... Es ist das vierte oder fünfte Konzert der nächsten Tour. Man braucht immer ein paar Abende, bis das Zusammenspiel von der Band und mir rund läuft. Die ersten Konzerte sind immer spannend für uns alle. Es ist komisch: Man kann ein Lied gesungen haben, so oft man will – in dem Moment, wenn man ein neues Programm hat, ist es ein ganz anderes Gefühl. Bis es im Blut ist, bis ich die Ansagen habe. Die halte ich übrigens für irre wichtig bei einem Konzert. Ich lege viel Wert auf die Art, wie ich erkläre, was jetzt kommt. Haben Sie eine feste Band für die Tour? Meine letzte Tour war mit 20 Musikern, das sieht man selten. Diese Tour hat wahrscheinlich 15, 16 Musiker. Mit fünf Bläsern ist die Sache für mich persönlich viel vollkommener. Ich habe einen Arrangeur, der das Risiko nicht scheut und richtige Bläsersätze in ein Lied wie „Nachts, wenn alles schläft“ schreibt. Thomas Gottschalk war mal bei einem Auftritt von mir und sagte: Das kommt mir vor wie Blood, Sweat & Tears, was ihr da macht. Das ist ein schönes Kompliment. Philipp Seidel Konzert am 18. Mai 2024 in der Münchner Olympiahalle, Karten unter muenchenticket.de. Das Album „Let’s Do It Again“ mit zwölf Titeln ist gerade bei Electrola erschienen. Howard Carpendale über die Zukunft des Schlagergeschäfts, über das eine Lied, das er schon immer singen wollte, und über die Merkmale einer guten Show Howard Carpendale sagt: „Ich glaube, ich darf es sagen: Meine Texte waren mit die besten, die es in Deutschland gibt.“ Das habe er vor allem zwei kreativen Männern zu verdanken. Foto: Hendrik Schmidt/dpa AZ-INTERVIEW mit Howard Carpendale Der Sänger wurde 1946 im südafrikanischen Durban geboren. Mit 20 Jahren ging er nach Europa und kam nach zwei Jahren in London nach Deutschland. Seine ersten großen Erfolge hatte er in den 70ern mit Liedern wie „Da nahm er seine Gitarre“, „Du fängst denWind niemals ein“ und „Nachts, wenn alles schläft“. Seine Hits wie „Ti amo“ und „Hello Again“ dürfen auf keiner guten Schlager-Playlist fehlen. ABENDZEITUNG DIENSTAG/MITTWOCH, 31.10./1.11.2023 WWW.ABENDZEITUNG.DE 33 KULTUR Gekennzeichneter Download (ID=WsXuUSf05h1xI8_-ceHmHg)

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