Abendzeitung vom 31.10.2023

32 ABENDZEITUNG DIENSTAG/MITTWOCH, 31.10./1.11.2023 WWW.ABENDZEITUNG.DE KULTUR Die reale Seite des Kunstlieds Weshalb die fünf Frauen solchen Spaß haben? „Wir fallen aus der Rolle“, sagt Isabelle Rejall, „und spielen klassisches Repertoire mit Klarinette, Hackbrett, Akkordeon und Kontrabass“. Also Instrumenten, die man mit der Volksmusik verbindet. Die Mezzosopranistin ist so etwas wie die Frontfrau des Ensembles Almanach, das sich die Steifheiten des Konzertbetriebs abgeschminkt hat. Dazu gehört auch, dass sich Rejall und Co. nicht mit dem üblichen Kanon zufriedengeben, sondern vergessene und übersehene Talente ausgraben. Und die Musik in just die Geschichten einbetten, die eigentlich dazu gehören. Denn was schön klingt, hat oft einen problematischen Hintergrund, findet Rejall: „Wenn bei Robert Schumann Alpen und Sennerinnen auftauchen, fragt sich kaum jemand, wie es den Sennerinnen geht.“ Dabei ist das Landleben im 19. Jahrhundert so gar nicht beschaulich. Der Verwaltungsjurist Joseph von Hazzi hat in seinen Denkschriften „Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern“ viel zu bemängeln. Um München herum etwa „findet man keine ordentlich eingerichtete Schule. Mit dem sechsten Jahre werden die Kinder schon zur Arbeit angestrengt, und so ihre geistige und moralische Bildung vernachlässiget. (...) Vorzüglich häßlich ist der Anblick jener verödeten Fläche außerhalb München, gegen Trudering oder die Wasserburg Strasse hin. (...) Die Menschen sind hier klein, durch zu frühe Anstrengung verkrüppelt (...) Ihr Elend suchen sie durch Heiraten zu vergessen, stürzen sich aber oft dadurch in noch tieferes. (...) Das Brot ist durchgängig schlecht; und nirgends ißt man Fleisch.“ Das darf keinen Herrscher zufrieden stellen. Deshalb lautet Rejalls Programm „Schönheit & Staatsversagen“. Dank der fabelhaften Kompositionen dürfte der Abend aber doch zu einem sehr angenehmen werden. Und die Einschätzung kommt aus berufener Feder: „Wen die Lieder nicht packen, der fühlt überhaupt gar nichts“, hat Felix Mendelssohn Bartholdy 1831 aus München geschrieben. Da war er gerade dabei, aufs Oktoberfest zu gehen, und ziemlich sauer, weil sein Konzert deshalb verschoben wurde. Doch von Josephine Lang musste er im Brief an seine Schwestern unbedingt noch berichten. Sie war ein Lichtblick mit „sonnenklarem Zug von Talent“, erhielt von ihm Unterricht in Kontrapunkt und Generalbass. Aber wie das damals halt so war, lief das Fräulein Lang bei allen Höhenflügen in den Hafen der Ehe ein. „Dann war’s vorbei mit der Karriere“, erklärt Isabelle Rejall. Deshalb ist die forschende Sängerin bemüht, ausgebremste Frauen zu Gehör zu bringen. Nicht auf Teufel komm raus. Deren Musik müsse schon zum Konzept passen. Und diesmal geht es um einen musikalischen wie historischen Querschnitt durch das Bayern des frühen 19. Jahrhunderts. Deshalb seien auch Kompositionen von Leopold Mozart, Franz Lachner und Peter Joseph von Lindpainter dabei. Letzter wurde – schon wieder vom sonst so kritischen Mendelssohn – als „bester Orchesterdirigent Deutschlands“ gelobt. In die Mischung fügt er sich allemal, mit der Rejall „den Kosmos des Kunstliedes neu erschließen“ will. Begleitet von den ziemlich drastischen Texten Hazzis, die der Lyriker und Übersetzer Tobias Roth sprechen wird. Christa Sigg „Schönheit & Staatsversagen“, Freitag, 3. November, 19 Uhr, Kleines Theater Haar, Casinostraße 6, Haar, Info und Tickets über www.ensemblealmanach.com und☎089 890 56 98 13 Die Münchner Sängerin Isabelle Rejall blickt mit ihrem Ensemble hinter die Kulissen der „Schönheit“ und findet in der Zeit um 1800 vor allem: „Staatsversagen“ Isabelle Rejall (Mitte) macht sich mit ihren Mitstreiterinnen vom Ensemble Almanach an vergessene Kompositionen – und das mit Instrumenten, die man eher mit der Volksmusik in Verbindung bringt. Patrick Braun arrangiert die Partituren aufs Ensemble hin. Foto: Ensemble Almanach Europäisch-afrikanisches Projekt im Zeichen der Restitutionsdebatte: „The Ghosts are returning“ von der Group 50:50. Foto: Foto: Joseph Kasau Was in uns herumspukt Sichtbarmachung ist sicherlich eine Mission der Performancekunst. Was verschwiegen und verdrängt wird, an (staatlichen) Verfehlungen, Missbrauch und Gewalt, bringen die Künstlerinnen und Künstler ins Scheinwerferlicht, was man auch als Teil eines therapeutischen Prozesses verstehen kann. „Man müsste die europäischen Museen einer Psychoanalyse unterziehen“, heißt es in der musiktheatralischen Performance „The Ghosts Are Returning“, die im Rahmen des Spielart-Festivals in der Muffathalle zu sehen war. Die aus kongolesischen, schweizerischen und deutschen Künstlerinnen und Künstlern bestehende Group50:50, die bei diesem Projekt mit der Musikinitiative „Podium Esslingen“, dem Centre d’art Waza Lubumbashi und anderen Partnern kooperiert hat, stößt eine solche Analyse mit investigativem Furor und performativer, vor allem musikalischer Wucht an. So taugt das sperrige Verb „restituieren“ bei der siebenköpfigen Band, die gemeinsam auf der Bühne spielt, sogar zum schmissigen Refrain, wobei die Rückgabe von Kulturgütern an die Nachfahren, von Europa Richtung Afrika, eine ernsthafte, umkämpfte Angelegenheit ist. Auch menschliche Überreste wurden während Kolonialzeiten entführt und gehören zurückgeführt: Die Geister suchen die Menschen heim. Sie wollen zurück in ihre Heimat. Exemplarisch für die gar angeblich im Dienste der Aufklärung stehende Aneignungsgewalt der Kolonialmächte wirkt die Geschichte des Schweizer Arztes Boris Adé, der 1952 im Nordosten von Belgisch-Kongo (heute Demokratische Republik Kongo) sieben „Pygmäen-Skelette“ ausgrub und in Kisten verpackte, um sie nach Europa zu verschiffen und der Universität Genf zu Forschungszwecken zu überlassen. Allein das Wort „Pygmäen“ signalisiert die abwertende, rassistische Haltung der Schweizer gegenüber dem kongolesischen Volk der Mbuti, denen die Gebeine entwendet wurden. Die Group 50:50 machte sich auf eine Recherchereise zu den Mbuti, sammelte dabei dokumentarisches Material, Klänge, Stimmen. Auf drei großen, von der Horizontale in die Vertikale drehbaren Screens sind in brillanter Qualität aufgenommene Videos zu sehen, die bei diesem Trip entstanden sind. Die Mbuti kommen zu Wort, musizieren, tanzen und werden Teil der Totenfeier, die auf der Bühne live zelebriert wird. Gegen Ende bittet Elia Rediger einen Geist auf die Bühne, das Scheinwerferlicht geht an und man kann sich den Tanz des Geistes vorstellen, während die Band spielt. Zum Prozess der Sichtbarmachung gehört hier auch, dass dem Unsichtbaren Raum und Rampenlicht gegeben wird. Und in der Musik des Ensembles wechselt sich in aller Selbstverständlichkeit europäische Klassik, moderne ElektroMusik und Afro-Pop ab – die gesprochen-gesungenen Zeilen politisch aufgeladen, die Klänge dazu manchmal zuckersüß, heiter, lebendig. Ein ähnlich fulminantes, ganz anders gestimmtes Konzert, in dem ein Brückenschlag zwischen Kulturen großartig gelang, konnte man bei Spielart zuvor schon bei der LecturePerformance „Rhapsody in Yellow“ erleben. Da ließen die Pianisten Ben Kim und Mark Taratushkin zwei in sich schon hybride Musikwerke, George Gershwins „Rhapsody in Blue“ und das kulturrevolutionäre „Yellow River Concerto“ ineinanderfließen. Auch bei dieser Festivalausgabe gilt: Je länger Spielart andauert – es geht noch bis zum 4. November –, desto mehr vernetzen sich verschiedene Performance-Erlebnisse im Kopf. Wer sich zum Beispiel „Doom“ auf der Bühne 2 im Volkstheater ansieht, wird dabei womöglich an „The Making of Pinocchio“ in der Muffathalle erinnert, auch wenn in diesen beiden Produktionen ganz unterschiedlich, gleichsam ohne große Scham und mit frontalnacktem Mut den Zuschauenden queere Lebenswelten zwischen Realität und Mythos eröffnet werden. Teresa Vittucci und Colin Self beschäftigen sich mit zwei zentralen Frauenfiguren: die eine biblisch, Eva, die andere aus der griechischen Mythologie, Pandora. Zu Beginn liegt Choreografin Vittucci auf dem Boden, das nackte Gesäß dem Publikum zugewandt, das Bühnenlicht giftig gelb. Sie steht auf, windet ihren Oberkörper aus einer Folie, bis sie nackt dasteht, und man weiß nicht, ob man das nun monströs oder gar verführerisch finden soll. Die Büchse der Pandora gilt als Sinnbild weiblicher Verführungskraft, steht aber auch für die Schuld, die man Pandora für all das Unheil gibt, das eben in der Büchse lauert. Vittucci und der als Faun verkleidete Self treiben allerlei Schabernack mit solchen Schuldzuweisungen. Einmal fällt vom Bühnenhimmel ein Buch herab, in dem exakt der Dialog steht, den sie zuvor geführt haben. Die Rolle der Frau als Verführerin, als Verursacherin der Ursünde ist wiederum in der Bibel vorgeschrieben. Letztlich entpuppt sich diese Performance, mit Rauschen, Hufgeklapper und Soundloops wuchtig unterfüttert und in gelbes bis rotes Licht expressionistisch getaucht, als queer-feministische Show der Befreiung – von Vorbildern und patriarchalen Festschreibungen. Die erste Strophe aus Goethes „Gesang der Geister über den Wassern“ singt das Duo zuletzt in mehrfacher Wiederholung. „Des Menschen Seele gleicht dem Wasser“, und der Gesang fließt betörend weiter. Bei einem „ewigwechselnd“ geht das Licht aus, die Stille im Saal ohrenbetäubend, magisch. Michael Stadler Weiteres Programm von Spielart unter www.spielart.org Tanzende Geister, fulminante Cross-Over und feministische Befreiungsschläge beim Spielart-Festival Landeshauptstadt München Städtische Friedhöfe München, Telefon 2 31 99 01 Heute, Dienstag, 31. Oktober 2023 Nordfriedhof, Urnenbeisetzungen mit Feier: 09.00 S t e i nb a c h Martin, 87 Jahre 10.30 He i s e Günter, Richter, 80 Jahre 13.30 K r i e r Nikolaus, Beamter, 87 Jahre 14.15 L ank e s Edeltraud Charlotte, Rentnerin, 84 Jahre Nordfriedhof, Trauerfeier: 15.00 F r u t h Maria, Verwaltungsangestellte, 97 Jahre Ostfriedhof, Sargbestattungen: 12.45 Ma khany a Levy, 79 Jahre 13.30 Mün s t e r e r Elmar, Lebensmittelkaufmann, 80 Jahre Ostfriedhof, Krematorium, Trauerfeier: 09.45 We r ne r Manfred, techn. Angestellter, 90 Jahre Friedhof am Perlacher Forst, Urnenbeisetzung mit Feier: 10.30 A i gne r Maria Franziska, Sekretärin, 87 Jahre Neuer Südfriedhof, Urnenbeisetzungen mit Feier: 11.15 He r rmann Rosa, Schneiderin, 87 Jahre 12.45 Wi l den Ella, Finanzkauffrau, 64 Jahre Friedhof Feldmoching, Urnenbeisetzung mit Feier: 13.00 Tha l hamme r Hedwig, kaufm. Angestellte, 90 Jahre Friedhof Haidhausen, Gottesdienst in St. Johann Baptist mit anschl. Sargbestattung: 09.00 S c hmi d Marion, kaufm. Angestellte, 83 Jahre Friedhof Lochhausen, Sargbestattung: 09.00 Wö r l Josef, Fliesenleger, 85 Jahre Friedhof Riem, Alter Teil, Sargbestattungen: 09.45 Ra u c hene c k e r Josef, Kaufmann, 88 Jahre 10.30 Ge i ß l e r Richard, kaufm. Angestellter, 88 Jahre Friedhof Untermenzing, Sargbestattung: 10.30 S c hmi d Sonja, 85 Jahre Bestattungen im Landkreis München Friedhof Gronsdorf (Gem. Haar), Gottesdienst in Hl. Kreuz mit anschl. Urnentrauerfeier: 09.00 Be r na ue r Helga, Verkäuferin, 70 Jahre Alter Friedhof Ismaning, Bestattung: 11.30 Tu s t e r Johann, Schriftsetzer, 72 Jahre Friedhof Lohhof, Nelkenstraße, Beisetzung: 11.00 Wö r l Josef, Maurer, 87 Jahre 10.00 Gottesdienst in St. Korbinian Friedhof Lohhof, Nelkenstraße, Erdbestattung: 14.00 T r ö g e r Paul, Dreher, 96 Jahre 13.00 Gottesdienst in St. Korbinian Gekennzeichneter Download (ID=WsXuUSf05h1xI8_-ceHmHg)

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