Abendzeitung vom 31.10.2023

22 ABENDZEITUNG DIENSTAG/MITTWOCH, 31.10./1.11.2023 WWW.ABENDZEITUNG.DE SPORT „Ich spüre in mir den großen Wunsch, diese Welt zu schützen“ AZ: Frau Mihambo, das Thema Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit beschäftigt Sie intensiv. Sie studieren seit einiger Zeit sogar Umweltwissenschaften. Wie weit ist das Studium denn fortgeschritten? MALAIKA MIHAMBO: Ich habe zwei Drittel geschafft, aber es stehen noch große Meilensteine an wie zum Beispiel die Abschlussarbeit, weitere Hausarbeiten und noch andere Projektarbeiten. Es ist noch einiges zu tun. Könnte das tatsächlich nach der Profikarriere dann auch Ihr beruflicher Schwerpunkt werden? Ich kann mir das sehr gut vorstellen, der Fokus ist da auch recht breit. Ich bin sicher, ich finde etwas, womit ich wohlfühle. Ihr Engagement für umweltbewusstes Leben hat sich herumgesprochen. Gab es dafür einen konkreten Anlass? Ich wurde schon früh dazu erzogen, war in der Grundschule bereits in einer Umwelt-AG, wo wir viel über die Umwelt, über die örtliche Flora und Fauna und allgemeine Themen gelernt haben. Das hat mich früh sensibilisiert. Zum anderen komme ich aus einer Familie, in der man immer sehr offen über Politik gesprochen hat undmir dadurch früh schon einige Probleme auch bewusst wurden. Das war nicht ein bestimmter Moment, man ist damit aufgewachsen und auch in der Jugend habe ich mich damit auseinandergesetzt. Es war immer präsent. Die Politik, von der Sie schon „beherzteres“ Eingreifen gefordert haben, hat es gerade jetzt mit verschiedensten Krisen zu tun. Haben Sie den Eindruck, dass das Klima da etwas in den Hintergrund rückt? In einem Deutschland-Trend zuletzt war das Umweltthema auf Nummer zwei, es ist also schon präsent. Dennoch denke ich, dass es noch mehr Präsenz braucht bzw. aktives Handeln. Die Menschen müssen wissen, was sie tun können, müssen abgeholt werden, weil das ein Weg ist, den man nur gemeinsam als Gesellschaft gehen kann. Gleichzeitig muss eben die Politik noch mehr in die Verantwortung gehen und klarere Rahmenbedingungen setzen, die effektiv für den Umweltschutz sind und die die Wirtschaft gleichzeitig halten kann. Sie saßen vor einigen Monaten mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder zusammen. Es war nur eine Videokonferenz, aber ja. Wie war Ihr Eindruck? Klar ist, dass es ein Thema ist, das ihm auf jeden Fall bewusst ist, was es anzugehen gilt. Gleichzeitig müssen den Worten auch Taten folgen. Das ist es, womit sich die Politik bislang schwertut. Langsam hat man das Ausmaß der Krise verstanden, gleichzeitig fehlen die entsprechenden Taten und Handlungen, die ausreichen, um dieser Krise entgegenzuwirken. Der Druck steigt stetig. Die Veränderungen werden immer präsenter. In Europa kriegen wir es noch weniger zu spüren als an vielen anderen Orten der Welt. Das sollte uns nachdenklich stimmen und bewusst machen, dass die Krise wirklich jeden trifft und dass gerade auch Europa und Deutschland in der historischen Verantwortung stehen, mehr zu liefern als nur leere Worte. Sie haben vor drei Jahren in einer ARD-Doku mitgewirkt, die sich um die Frage drehte: ‚Profisport, Riesengeschäft auf Kosten der Natur?’. Wie sehen Sie dieses Thema inzwischen? Sport ist ein wichtiger Faktor, der Menschen über Ländergrenzen hinaus verbindet. Von daher ist die gesellschaftliche und soziale Kraft des Sports enorm. Deshalb ist es auch eine wichtige Stellschraube, weshalb der Sport gefördert werden sollte. Wenn man einen bewussten Lebensstil führen möchte, dann gehört viel Bewegung auf jeden Fall dazu. Klar, jedes Handeln hat einen Impact auf Natur und Klima, aber man muss auch immer schauen, wie Kosten und Nutzen im Verhältnis stehen. Beim Sport überwiegt auf jeden Fall der gesellschaftliche Nutzen. Was sind aus Ihrer Sicht gerade die größten Baustellen im Sport beim Thema Nachhaltigkeit? Das überschneidet sich auch mit dem Generellen. Wir müssen mehr Werte über den Sport leben und dazu gehören zum einen auch Fragen, wie und wo wir Großveranstaltungen machen wollen. Unter welchen Bedingungen? Mit welchen Umweltauswirkungen? Hier muss einfach noch viel mehr mitgedacht werden. Das ist ein wichtiger Punkt. Zum anderen wäre es gut, wenn man über die Vorbilder aus dem Sport noch mehr Zugkraft entwickelt, um einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft ausüben zu können im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein. Und es geht wie gesagt auch darum, Sportstätten so zu handhaben, dass sich die gesellschaftlichen Kosten mit den umweltbezogenen Kosten ausgleichen. Wie wird das Thema international gesehen in der Leichtathletik? Haben Sie das Gefühl, dass sich da ein neues Bewusstsein breitmacht? Auch hier steigt das Bewusstsein, viele Athleten, viel mehr als früher, interessieren sich dafür. Ich denke, dass die Sportler in der Hinsicht ein gutes Abbild der Bevölkerung darstellen, bei manchen geht es schneller, andere brauchen länger. Gerade bei den Wintersportler, die erleben das nochmal intensiver. Bei uns ist es auf einem Sportplatz ja immer ein recht ähnliches, künstlich geschaffenes Umfeld. Die Umweltauswirkungen und -veränderungen, denke ich, die kriegen alle Menschen mit. ImWintersport gibt es nach wie vor Expansionsbestrebungen, es wird noch zwischen den Kontinenten hin und her gesprungen. Ist das in der Leichtathletik schon harmonischer abgestimmt? In der Leichtathletik spielt sich der Schwerpunkt in Europa ab, von daher sind nur kürzere Reisen nötig. Wir haben auch Meetings in Deutschland, die sehr hochwertig sind wie die ISTAFMeetings oder das Meeting in Dessau mit sehr guter Konkurrenz. Die Hallensaison beispielsweise habe ich zuletzt schwerpunktmäßig national bestritten und bin dann mit der Bahn oder Fahrgemeinschaften unterwegs, um den Einfluss meiner Geschäftsreisen zu minimieren. Andererseits verbindet der Sport, hat eine unheimliche Zugkraft für Menschen, ist eine Inspirationsquelle, die vielleicht auch motiviert, selbst im Sport aktiv zu werden, ob als Athlet oder Trainer. Was auch ein Wert für sich ist. Das muss eben auch mit gesehen und darf nicht unterschätzt werden. Von daher ist es schön, wenn überall auf der Welt Sport stattfindet und nicht nur in ausgewählten Zentren. Aber jeder muss schauen, wie kann man den eigenen Fußabdruck, ob individuell, als Verein oder auch als Verband reduzieren kann. Gleichzeitig geht es auch darum, seinen Klima-Handabdruck zu vergrößern - was ich ein schönes Konzept finde, bei dem es darum geht, so viel wie möglich Einfluss zu erlangen. Viele haben schon einen kleinen Fußabdruck, aber es geht darum, aktiv zu werden, sich auch in der Nachbarschaft zu vernetzen, in die Lokalpolitik zu gehen und da diese Themen voranzubringen. Ich glaube, dass man da den Schwerpunkt hinlegen muss, den Menschen bewusst machen muss, selbst aktiv zu werden: Man wendet sich Menschen zu und verbindet sich, um Ideen zu kreieren, die in Summe mehr bewirken als der einzelne Fußabdruck. Inwieweit sind die Verbände da noch mehr in der Pflicht oder spüren Sie etwa in der Leichtathletik schon Entwicklungen? Auch da nehmen die Entwicklungen zu. Der DLV arbeitet schon lange an verschiedenen Projekten in verschiedenen Regionen mit Plan Deutschland, um Positives für Mensch und Umwelt zu bewirken. Darüber hinaus gibt es immer noch mehr Möglichkeiten, sich zu vernetzen und zu verbinden, um die größtmöglichen Hebel in Bewegung zu bringen. Sie haben einige Jahre auf Trainingslager verzichtet, gilt das privat auch für größere Reisen oder „gönnen“ Sie sich auch mal was? Da ist ein ganz schwieriges Thema, weil man ja versucht zu sparen, wo es geht. Ich ernähre mich zum Beispiel seit Jahren vegetarisch, bin teilweise sehr nah an einer veganen Ernährung und habe dadurch schon Jahre lang CO2 eingespart. Jetzt darf ich aber nicht sagen, weil ich dies und das schon gemacht habe, darf ich’s mir jetzt gönnen. Dann kommt man schnell in die Verlegenheit, doch wieder mehr CO2 auszustoßen, als man vorher eingespart hat. Ich versuche, da nicht abzuwiegen, aber ich denke auch, dass es darum geht, dass man sich auf die Welt einlässt, sich davon bezaubern lässt. Die Schönheiten der Welt zu schätzen lernt. . . Ich spüre in mir den großen Wunsch, diese Welt zu schützen und sie zu erhalten, weil es eben so viele tolle Landstriche gibt, aber auch kulturell so viele tolle und interessante Traditionen, die man ganz anders kennenlernt, wenn man sich auf ein Land einlässt, anstatt eine Dokumentation anzuschauen. Es muss sich auch da in der Waage halten, denn es geht ja auch nicht darum, dass sich alle Leute jetzt alles verbieten. Der Hebel ist viel größer, wenn sich Menschen gemeinsam auf eine Sache einlassen, ob das jetzt mehr vegetarische Gerichte sind in einer Schul-, Universitäts- oder Firmenkantine oder ob es darum geht, dass man Solarpaneelen in einer Firma aufstellt. Damit kann man viel mehr CO2 einsparen, als wenn jeder Angestellte jetzt nicht in den Urlaub fliegt. Man erreicht mehr, wenn man aktiv ist im Großen und Ganzen, als wenn man schaut: Welches Produkt hat jetzt weniger CO2? Die verpackte Bio-Gurke oder die unverpackte konventionelle Gurke. Ich glaube, in solchen Kleinigkeiten sollte man sich nicht verlieren. Dass Reisen den Horizont erweitert, ist auch nicht zu unterschätzen. Reisen ist auch etwas, was man heutzutage braucht. Wir sehen es auf der ganzen Welt, dass es notwendig ist, dass Menschen offen bleiben füreinander. Ich glaube auch, nur wenn man aufeinander zugeht, international gesehen, dann können wir auch umweltpolitisch etwas erreichen, was der Klimakrise entgegenwirken kann. Wie blicken Sie in die Zukunft? Mal positiver, mal weniger positiv. Ich versuche, optimistisch zu bleiben, und habe mich jetzt auch in den letzten Wochen auch noch mehr damit auseinandergesetzt, indem ich das Buch „Hoch die Hände Klimawende“ von Gabriel Baunach gelesen habe. Ich will schauen, wie ich in meinem Leben mit meinen Hebeln, mit meinen Möglichkeiten noch mehr in Bewegung setzen kann, um noch mehr zu erreichen. Wenn wir das alle tun, dann können wir viel zusammen erreichen. Interview: Ruben Stark Deutschlands Weitsprung-Queen Malaika Mihambo spricht im großen AZ-Interview über ihr Studiumder Umweltwissenschaften, Sportler als Öko-Vorbilder und das „schwierige Thema“ Fernreisen AZ-INTERVIEW mit Malaika Mihambo Die deutsche WeitsprungQueen ist Olympiasiegerin und zweifache Weltmeisterin. Neben ihrer Leichtathletik-Karriere studiert die 29-jährige Heidelbergerin Umweltwissenschaften. Gekennzeichneter Download (ID=WsXuUSf05h1xI8_-ceHmHg)

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