Abendzeitung vom 31.10.2023

Nachhaltig – das können nicht nur neu und unter entsprechenden Umständen mit entsprechenden Materialien produzierte Gegenstände sein. Sondern auch und gerade solche, die durch mehr als eine Hand gehen. Dafür gibt es verschiedene Begriffe, einer davon: Shareconomy. Das Prinzip: Der Nutzer leiht sich etwas, anstatt zu kaufen – entweder von privaten oder von kommerziellen Anbietern. Diese Leihwirtschaft gibt es in den verschiedensten Branchen. Doch welche davon sind wirklich nachhaltig und bringen auch dem Nutzer etwas? Die AZ hat nachgefragt. ➊Mobilität: Vielleicht der augenfälligste Leihbereich. Autos, Räder, Roller, alles ist möglich. Das sollte doch grundsätzlich nachhaltig sein? „Es kommt drauf an“, sagt Heidemarie Krause-Böhm, Leiterin des Referats Energie, Umwelt und Nachhaltigkeit bei der Verbraucherzentrale Bayern, der AZ und lacht. Das sei bei allen Bereichen der Shareconomy so. Man müsse beachten, was durch das Teilen ersetzt wird. „Wenn ich kein eigenes Auto mehr anschaffe und dafür Carsharing nutze, dann hat das unter Umwelt- und Ressourcenaspekten schon einen Vorteil.“ Werde allerdings der Leihwagen anstatt des ÖPNV genutzt, sehe die Umweltbilanz ungünstiger aus. Zudem sei man im Auto eventuell allein unterwegs, im ÖPNV dagegen mit sehr viel mehr Menschen. Und wenn das eigene Auto zuvor nur für eine einzige Fahrt in der Woche verwendet wurde, das Leihauto – weil man ja Geld spart – dafür dann täglich unterwegs ist: auch nicht gut. ➋ Werkzeug: Vielleicht etwas überraschend: In einer Umfrage des Verbraucherzentrale Bundesverbands von 2020 war der bekannteste Leihbereich der von Baumaschinen. „Und das würde unter dem Aspekt Ressourcenschutz und Nachhaltigkeit noch viel mehr Potenzial bieten“, sagt Krause-Böhm. Wer eine Bohrmaschine, einen Hochdruckreiniger, Vertikutierer oder Ähnliches nur ein paar Mal im Jahr benötige, der sei besser beraten, das Gerät zu leihen, anstatt es sich für teures Geld anzuschaffen. Es gebe mittlerweile viele Baumärkte oder andere Firmen, die solche Produkte verleihen. „Wenn ich es angeschafft habe, dann habe ich ja den ganzen CO2-Rucksack dabei – es wurde produziert, transportiert zum Händler.“ Durch das Leihen könne dieser „Rucksack“ verkleinert werden. Allerdings stellten sich dann rechtliche Fragen: Was geschieht, wenn etwas kaputt geht, braucht man eine Versicherung? ➌Kleidung: Bei Baby- und Kinderkleidung habe das Teilen schon früh begonnen, nämlich mit privaten Flohmärkten, sagt Krause-Böhm. „Das Tauschen und Verleihen führt dazu, dass dieses Produkt, was schon entstanden ist, länger genutzt werden kann.“ Für Erwachsene gebe es beispielsweise Kleidertauschpartys. Ein Klassiker zudem: Second-Hand-Läden – etwas, was die Verbraucherzentrale Bayern unter Ressourcenschutz-Gesichtspunkten befürwortet. „Bevor es nur im Schrank hängt oder in die Altkleidersammlung kommt“, sei eine zweite Nutzung „ein sehr gutes Modell“. Beim Leihen von Kleidung gelte wieder das Prinzip: Geht es darum, ein Stück zu mieten, das man vielleicht nur einmal trägt wie ein Brautkleid, ein teures Dirndl für die Wiesn oder ein Abendkleid für einen Ball, dann sei das – statt Kauf – „ein gutes Modell aus unserer Sicht“, sagt die Verbraucherschützerin. Etwas anderes seien dagegen Modelle, bei denen gegen Rückgabe alter Kleidung im Geschäft Rabatt auf neue gewährt werde. Dies führe eher zu mehr Verbrauch als zu weniger. ➍Wohnungen: Eine gute Art des „Verleihens“ von Immobilien sei es, wenn sich Menschen gegenseitig etwa zu Urlaubszwecken ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellten. Was die Verbraucherzentrale aber kritisch sieht: Wenn in Städten mit angespannter Wohnraumsituation Besitzer eher kurzfristige Vermietungen bevorzugen, statt die Wohnungen dem Markt zur Verfügung zu stellen. Fast schon kommerzielle Sharinginitiativen seien eher negativ zu bewerten. Größere Kreise ziehe das Thema, wenn solche Wohnungen in Teilen Hotels ersetzten und dadurch weniger Wäsche und Reinigung anfalle oder neue Hotels nicht gebaut und Flächen nicht versiegelt werden müssten. „Das könnte in der Umweltbilanz gewisse Vorteile haben.“ ➎Lebensmittel: Wären Lebensmittel ansonsten weggeworfen worden, dann sei das „Retten und Zur-Verfügung-Stellen“ aus Nachhaltigkeits- und Ressourcengründen ein Vorteil. Wasser, Energie und Rohstoffe für den Transport seien ja bereits verbraucht. Ein Wegwerfen ist Krause-Böhm zufolge grundsätzlich zu vermeiden. Dies sei aber kein klassisches Sharing, denn es werde nach Nutzung nichts zurückgegeben. Was grundsätzlich für Verbraucher gilt, die an der Shareconomy teilhaben wollen: sich genau informieren. „Ein wichtiger Aspekt ist hierbei, ob der Anbieter gewerblich oder privat handelt“, sagt Julia Zeller, Referentin für Verbraucherrecht bei der Verbraucherzentrale Bayern, der AZ. „Handelt es sich um einen gewerblichen Anbieter, dann sind Verbraucher durch die gesetzlich geregelten Verbraucherrechte geschützt. Unter diese Verbraucherrechte fallen zum Beispiel konkrete Informationspflichten, Preisangaben oder auch die Möglichkeit des Widerrufes.“ Welche konkreten Rechte gelten, hänge aber immer vom jeweiligen Vertragstyp ab. „Auch hinsichtlich des Versicherungsschutzes ist diese Unterscheidung wichtig. Bei der Interaktion mit einem privaten Anbieter sollte im Vorfeld immer geklärt werden, ob eine Haftpflichtversicherung besteht und ob und auch welche Schäden hier gegebenenfalls abgedeckt werden“, erläutert Zeller. Auch die Ausleihmodalitäten sollten genau beachtet werden, ebenso wie die Angaben dazu, wie und wann die Rückgabe zu erfolgen hat. „Wichtig ist auch immer zum Zeitpunkt des Ausleihens, die Sache zuerst genau zu überprüfen und gegebenenfalls Schäden et cetera zu dokumentieren und auch dem Anbieter zu melden“, sagt die Expertin. „Ansonsten läuft man Gefahr, dass man für etwas bezahlen muss, was man selber nicht zu verantworten hat.“ Die Datenschutzbestimmungen sollten ebenfalls angeschaut werden, damit man auch weiß, was mit den eigenen Daten geschieht. Bei allen Angeboten rät Zeller zudem dazu, sich auf Vergleichsportalen oder bei der Stiftung Warentest über die Seriosität der Anbieter zu informieren. Doch was sagt eigentlich die Wirtschaft, die ja ein Interesse daran haben müsste, dass so viel und so schnell wie möglich nachgekauft wird? Sie ist gar nicht so abgeneigt, sondern sieht Vorteile auch für sich selbst. „Wenn mehrere Unternehmen dasselbe Produkt nutzen, ist das effizient, kosten- und ressourcenschonend und somit nachhaltig“, sagt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der vbw – Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, der AZ. „Weitere Vorteile sind, dass Beschaffungsrisiken, zum Beispiel Preisvolatilitäten oder Lieferprobleme, reduziert, neue Kundengruppen und Geschäftsfelder erschlossen und zusätzliches Know-how generiert werden können.“ Eine Herausforderung sei aber „der rechtssichere Umgang mit Unternehmensdaten, auf die die beteiligten Unternehmen insgesamt zugreifen können“, sagt Brossardt. Die Möglichkeiten für Shared Economy sieht Brossardt durch die Digitalisierung vergrößert: „Shared Economy kommt heute beispielsweise im IndustrieDienstleistungsverbund für die Nutzung von Gabelstaplern, bei Maschinenringen in der Landwirtschaft und bei Modellen im Luftverkehr zum Einsatz.“ Martina Scheffler Vieles lässt sich leihen, vom Auto bis zum Abendkleid. Doch was nutzt der Umwelt und was nur dem Geldbeutel der Besitzer? Die Kunst des Teilens Second-Hand-Mode ist ein klassisches Beispiel für eine Wirtschaft, in der Produkte geteilt und verliehen werden. Fotos: F. Gabbert/dpa; imago POLITIK kompakt Israel rückt im Gazastreifen vor TEL AVIV/GAZA Die Bodentruppen der israelischen Armee haben bei ihrem Vorstoß im Gazastreifen nach eigenen Angaben Dutzende Terroristen getötet. Wie der US-Sender CNN auf Basis ausgewerteter eigener Luftaufnahmen berichtete, ist das israelische Militär inzwischen etwa drei Kilometer in den abgeriegelten Gazastreifen vorgestoßen. Kreml: Gewalt in Dagestan war gesteuert MOSKAU Russland hält die gewaltsamen antijüdischen Proteste in seiner muslimisch geprägten Teilrepublik Dagestan für aus dem Ausland provoziert. Vor dem Hintergrund der TV-Bilder vom „Horror“ im Gazastreifen sei es „sehr leicht, die Situation zu missbrauchen, dies zu provozieren, die Leute aufzubringen“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag zu der Gewalt am Vorabend auf dem Flughafen der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala. Ein wütender Mob hatte die Passagiere einer aus Israel ankommenden Maschine attackiert. 20 Menschen wurden dabei laut Behörden verletzt, 60 Menschen festgenommen. Nahost: Entführte Deutsche ist tot Die Mutter geht davon aus, dass ihre Tochter bereits seit dem 7. Oktober tot ist – möglicherweise sei sie auf dem Festival durch einen Schuss in den Schädel getötet worden. Bilder und Videos, die im Internet kursierten, zeigten damals den Körper der jungen Frau auf einem Pick-up der Angreifer. Ihre Familie hatte Shani Louk auf den Aufnahmen erkannt und sich schon kurz darauf mit der Bitte umHilfe an die Öffentlichkeit gewandt. Zunächst ging Shani Louks Familie, von der ein Teil in Baden-Württemberg lebt, davon aus, dass die junge Frau bei dem Überfall schwer am Kopf verletzt wurde, aber am Leben war und sich im Gazastreifen befand. Diese Informationen hatte die Familie nach eigenen Angaben von einer „vertrauten Person im Gazastreifen“ erhalten. Die Leiche ihrer Tochter sei bislang zwar nicht gefunden worden, erzählt Louk. Man habe aber einen Splitter eines Schädelknochens gefunden und daran eine DNA-Probe gemacht. Vergleichsmaterial hätten die Eltern den Behörden schon vor Längerem zur Verfügung gestellt. Die Nachricht sei zwar schrecklich, sagt Ricarda Louk. Es sei aber gut, nun Gewissheit zu haben. „Wenigstens hat sie nicht gelitten.“ Mit zahlreichen Interviews hatte sich Ricarda Louk für die Freilassung ihrer Tochter und der anderen Geiseln, darunter weitere Bundesbürger, eingesetzt. Die Deutsche Shani Louk (22) wollte wie Tausende andere junge Menschen beim SupernovaFestival im Süden Israels feiern und tanzen. Doch das Fest endete am 7. Oktober in einem Blutbad, als Hamas-Terroristen aus dem Gazastreifen Israel überfielen. Mindestens 260Menschen wurden in der Negev-Wüste ermordet – darunter auch Shani Louk. Über den Tod ihrer Tochter habe sie die israelische Armee in der Nacht zum Montag informiert, sagt Mutter Ricarda Louk. Die Familie dachte bisher, Shani sei verschleppt worden. Shani Louk (22) galt seit 7. Oktober als vermisst. Nun ist klar: Die Hamas hat sie ermordet Ricarda Louk zeigt ein Foto ihrer getöteten Tochter Shani Louk. Foto: dpa NICHT NUR BEI KLEIDUNGSSTÜCKEN IST GEBRAUCHTES IN MODE – WAS NOCH VERLIEHEN ODER GETAUSCHT WIRD ABENDZEITUNG DIENSTAG/MITTWOCH, 31.10./1.11.2023 WWW.ABENDZEITUNG.DE 13 POLITIK / WIRTSCHAFT Gekennzeichneter Download (ID=WsXuUSf05h1xI8_-ceHmHg)

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