Abendzeitung vom 31.10.2023

Eine Frau, die mit ihrem Sohn vor einer Dürre in Somalia geflohen ist – nur eines von vielen Beispielen, wie der Klimawandel den globalen Süden schon jetzt negativ beeinflusst. Der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent sagt: Es wird gezielt mit rassistischen Narrativen Stimmung gemacht, um dieseProbleme zu relativieren. Foto: Boris Roessler/dpa „Es geht darum, Privilegien zu bewahren“ AZ: Herr Quent, die Wahlen in Bayern und Hessen haben gezeigt: Der Erfolg der AfD ist weder ein rein ostdeutsches Phänomen, noch haben die Partei nur ältere Leute gewählt. Welchen Anteil am Wahlerfolg hat, dass auch die Union nicht die AfD, sondern die Grünen zum Hauptgegner erklärt hat? MATTHIAS QUENT: Die Polarisierung, die sich insbesondere in der Ablehnung der Grünen und der Bundesregierung gezeigt hat, hat einen großen Anteil daran, dass gerade die AfD profitieren konnte. Diese Konfliktstellung schadet dem demokratischen Spektrum, schon weil sie so unplausibel ist. Als CDU in anderen Bundesländern mit den Grünen zu regieren und sie gleichzeitig zum politischen Hauptgegner zu erklären, ist inkonsistent, das merken Wählerinnen und Wähler. Hinzu kommt auch die inhaltliche Dimension, insbesondere die Folgen für die Klimapolitik. Was folgt denn daraus für die Klimapolitik? Klima- und auch demokratiepolitisch hat man sich mit diesem Wahlkampf keinen Gefallen getan. Wenn es um Ressentiments und Polarisierung geht, besteht immer die Gefahr, dass diejenigen, die besonders gut im Polarisieren und Emotionalisieren sind, auf lange Sicht besonders profitieren – und nicht diejenigen, die das zwar auch tun, aber wie etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder versuchen, es noch in demokratische Gefilde zu retten. Für das Klima ist das eine besonders schlechte Nachricht. Die Fragen, wie Klimaschutz sozial gerecht gestaltet werden und wie Bürger und Bürgerinnen an der Gestaltung der Transformation beteiligt werden können, haben keine Rolle gespielt. Man kann nur hoffen, dass jetzt wieder ein höheres Maß an Sachlichkeit und Rationalität Einzug hält. In Ihrem Buch „Klimarassismus: Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende“ erläutern Sie, warum aus Ihrer Sicht Klimawandelleugnung und Rassismus untrennbar miteinander verbunden sind. Wie hängt beides zusammen? Zunächst einmal sind diejenigen, die die Existenz von Rassismus leugnen, häufig auch diejenigen, die den Klimawandel leugnen. Das liegt daran, dass beides gemeinsame Ursachen hat. Die Wurzeln des Klimawandels liegen in der Industrialisierung. Darum sprechen wir in Bezug auf die Erderwärmung immer von Werten im Vergleich zu den Werten von 1850. der Lage ist, den Klimawandel wirklich so abzumildern, dass bestimmte Klima-Kipppunkte nicht erreicht werden. Das setzt insbesondere auch eine internationale Zusammenarbeit voraus, um etwa den globalen Süden dabei zu unterstützen, nicht auf fossile Energien angewiesen zu sein und trotzdem menschenwürdige Existenzen zu ermöglichen. Klimaforscher sagen, die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels wäre theoretisch möglich. Im Moment sehe ich aber, dass der politische Wille fehlt, um das Notwendige zu tun – trotz des extremen Reichtums. Dafür werden unsere Kinder und die Geschichtsbücher die Bremser verfluchen. Das klingt sehr pessimistisch. Gibt es denn auch Hoffnung? Es gibt durchaus Hoffnung, insbesondere beim ökologischen Bewusstsein vieler junger Menschen. In vielen Metropolen der Welt werden neue Wege gegangen, zum Beispiel bei der Transformation von Straßen hin zu öffentlichen Räumen, was auch insgesamt die Lebensqualität verbessert. Die Dekarbonisierung der Wirtschaft kommt. Dieser Weg wird sich allen Widerständen zum Trotz durchsetzen. Bei aller Polarisierung in der öffentlichen Debatte darf man nicht vergessen, dass Einstellungsstudien eine große Bereitschaft zur ökologischen Transformation zeigen. Dieser demokratische Konsens sollte, bei allen notwendigen Konflikten über die richtigen Wege, stärker betont werden. Interview: Lisa Marie Albrecht Matthias Quent, Christoph Richter, Axel Salheiser: „Klimarassismus. Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende“, Piper, 20 Euro der CO2-Emission 100 große Unternehmen allein zuständig sind, mit persönlichen Verhaltensanpassungen etwas ändern. Dass die Individualisierung des Strukturproblems zu Überforderung und zu Gegenreaktionen führt, ist nachvollziehbar. Wie kann es gelingen, wieder mehr Menschen für den Klimaschutz zu gewinnen? Man muss die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen. Diese Menschheitsaufgabe kann nur dann bewältigt werden, wenn diejenigen, die besonders viel Verantwortung tragen und auch besonders viele Möglichkeiten besitzen, in die grüne Wende investieren, dazu gebracht werden, dieser Verantwortung auch nachzukommen. Konkret: Die Reichsten müssen die ökologische Transformation bezahlen und es darf nicht zu einer übermäßigen Belastung der ärmeren Bevölkerung kommen. Eine europäische Bürgerinitiative um den Ökonomen Thomas Piketty fordert daher: Tax the rich. Besteht denn überhaupt noch eine Chance, dass die ökologische Transformation gelingt und wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen? Die Transformation kommt so oder so. Es geht darum, wie sie gestaltet wird, wie schnell sie vonstatten geht und ob sie in sche Freiheit endet, wo sie die Lebensgrundlagen und die Freiheit anderer Menschen einschränkt und zerstört. Auch wenn solche Erzählungen besonders aggressiv von rechts geäußert werden, finden sie sich sehr oft auch in der Mitte der Gesellschaft. Warum sind diese Positionen so anschlussfähig? Weil sie materielle Realität sind. Wir alle leben ja in diesem Widerspruch zwischen massiver Ungleichheit, unter der Menschen leiden auf der einen Seite, und auf der anderen Seite unserer demokratischen und aufklärerischen Normen. Das führt auch dazu, dass sich manche einseitig entscheiden und sagen: Naja, ist mir doch egal, ob Menschen sterben oder fliehen müssen, ich will so weitermachen wie bisher, wir brauchen billiges Gas aus Russland, Soldaten an den Grenzen und so weiter. Das ist ein Ausweg aus einer dissonanten Situation, die man als Individuum auch fast gar nicht auflösen kann. Der Klimawandel verschärft diesen Widerspruch, weil die Konkurrenz umRessourcen und um ein immer kleiner werdendes CO2-Budget steigt. In der öffentlichen Debatte geht es sehr oft um – vermeintliche – Verbotskultur und Verzicht. Trägt das auch dazu bei, dass viele Menschen sich von Klimaschutzmaßnahmen gegängelt fühlen? Vor allem wird diese Wahrnehmung diskursiv erzeugt. Man könnte Veränderungen ja auch als Chance deuten. Aber insbesondere die Fossilindustrie hat in den vergangenen Jahrzehnten viel Geld ausgegeben, um die Befunde zum Klimaschutz, klimafreundlichen Technologien, sozialen Entwicklungen zurückzutreiben und dem eigenen Geschäftsmodell Zeit zu kaufen. Das wirkt. Es geht darum, das systemische Problem auf das Individuum zu verlagern – als könne man etwa den Sachverhalt, dass für 71 Prozent es auch kein Problem mit dem Klima. Das ist natürlich Quatsch. Der CO2-Fußabdruck in den Industrienationen ist deutlich höher als in den am stärksten betroffenen Ländern. In Deutschland haben wir im Schnitt einen etwa zehn- bis elfmal so hohen CO2-Fußabdruck wie auf dem afrikanischen Kontinent. Der Versuch, Gruppen die Schuld zu geben, die ohnehin benachteiligt sind – zum Beispiel People of Color, teils auch Frauen – ist rassistisch und hintertreibt das demokratische Versprechen der Gleichwertigkeit aller Menschen. Welche anderen Narrative nutzen Rechte, um gegen Klimapolitik Stimmung zu machen? Es gibt eine ganze Reihe, die in eine ähnliche Richtung gehen. Man denke nur an den rechtsterroristischen Attentäter von Christchurch, der damals seinen Massenmord damit gerechtfertigt hat, dass man die Muslime töten müsste, um den Klimawandel zu stoppen. Im Kern geht es immer um die Konstruktion von Sündenböcken und um die Rechtfertigung rassistischer Strukturverhältnisse, um Privilegien zu bewahren. Dazu wird auch das schöne Wort der Freiheit leider häufig missbräuchlich genutzt im Sinne einer exklusiven Freiheit, die nicht der Tatsache Rechnung trägt, dass echte, universalistiDas ist aber auch die Zeit der Hochphase des Kolonialismus und des modernen Rassismus. Das ist kein Zufall. Wieso nicht? Weil es um die Rechtfertigung von Ungleichheiten und von Ausbeutung geht. Konkret um die Ungleichheiten, die, nur etwas zugespitzt, vor allem reichen weißen Männern historisch genutzt haben. Diejenigen, die die Hauptverantwortung tragen, sind die reichen Industrienationen des globalen Nordens, und diejenigen, die unter Ausbeutung und besonderer Klimabelastung jetzt schon leiden, weil Flächen nicht mehr beackerbar sind, Landschaften überflutet und sogar ganze Inseln überspült werden, das ist der mehrheitlich nichtweiße globale Süden. Die Klimakrise ist ein Gerechtigkeitsproblem – global und lokal. Diejenigen, die am wenigsten Verantwortung tragen, leiden am stärksten darunter. Heißt das im Umkehrschluss, wenn ich bestimmte Klimaschutzmaßnahmen ablehne, bin ich automatisch rassistisch? Nein. Es geht nicht darum, zu sagen, dass jemand, der gerne schnell Auto fährt oder gerne Schnitzel isst, rassistisch ist. Es geht um ein Strukturverhältnis, das wir uns ja gar nicht ausgesucht haben, sondern das historisch gewachsen ist. Es geht nicht darum, auf Menschen zu zeigen und zu sagen: Du bist ein böser Rassist, weil du den Klimaschutz hintertreibst. Aber wir müssen verstehen, dass die Themen soziale Ungleichheit und Klimaschutz miteinander verbunden sind. Und dass, weil das so ist, sich die äußerste Rechte mit rassistischen Narrativen gegen Klimaschutz stellt und damit die Zukunft gefährdet. Welche Narrative sind das? Zum Beispiel die Behauptung, man müsse die Bevölkerung in Afrika oder in muslimischen Ländern reduzieren, dann gebe Der Soziologe Matthias Quent über die Verbindung von Klimaleugnung und Rassismus – und darüber, wie Rechte das gezielt ausnutzen AZ-INTERVIEW mit Matthias Quent Der 37-jährige Soziologe gilt als ausgewiesener Experte zum Thema Rechtsextremismus und ist Autor mehrerer Bücher. Seit 2021 ist er Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Foto: IDZ Jena ‚‚ Im Moment fehlt der ‘‘ politische Wille ‚‚ Es gibt durchaus ‘‘ Hoffnung POLITIK Wirtschaft Die Kunst des Teilens SEITE 13 11 POLITIK ABENDZEITUNG DIENSTAG/MITTWOCH, 31.10./1.11.2023 WWW.ABENDZEITUNG.DE TELEFON089 23 77-3100 E-MAIL POLITIK@ABENDZEITUNG.DE Wildschwein Keiler Friedrich und sein Mensch SEITE 15 Gekennzeichneter Download (ID=WsXuUSf05h1xI8_-ceHmHg)

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