Jahresrückblick 2023

27 DAS WAR 2023 ABENDZEITUNG MITTWOCH, 27. DEZEMBER 2023 WWW.AZ-MUENCHEN.DE Abräumer, auch aus Deutschland Der Oscar? Da sind wir schon in der neuen Runde. Aber es lohnt sich ein Rückblick auf die 95. Verleihung am 12. März im Dolby Theatre in Los Angeles. Denn da war ein Mann aus Deutschland im Blitzlichtgewitter, dessen Name zuvor gar nicht so bekannt war: Edward Berger. Dessen freie Verfilmung des Antikriegsromans von Erich Maria Remarque „Im Westen nichts Neues“ gewann in den Kategorien Beste Kamera, Bestes Szenenbild, Beste Filmmusik – und eben als Bester internationaler Film und war sogar zusätzlich noch in der Königsdisziplin als Bester Film nominiert gewesen. Den Erfolg als bester internationaler Film hatte Deutschland das letzte Mal 2007 mit „Das Leben der Anderen“ gehabt und davor mit Caroline Link „2003 mit „Nirgendwo in Afrika“. Und auch wenn man das Wort „Corona“ nicht mehr hören kann: 2023 war das erste Jahr nach der Krise, in dem auch das Kino wieder an die Erfolge vor der Pandemie anknüpfen konnte. Das ist vor allem zwei Filmen zu verdanken, die allein deshalb herausragend sind, weil sie nicht der zigste Fortsetzungsteil einer bereits erfolgreichen Kinoserie waren. Es waren echte, neu ins Kino gebrachte Stoffe. Wobei die leicht exzentrische amerikanische Schauspielerin und Regisseurin Greta Gerwig mit „Barbie“ natürlich auf eine bekannte Spielzeugmarke gesetzt hatte. Margot Robbie spielte also das seit den 60er Jahren umstrittene weibliche Rollenklischee – blond, geschminkt, mit langen Beinen. Aber Gerwig bürstete das bekannte Bild etwas emanzipierter gegen den Strich, degradierte Ken (Ryan Gosling) zur Trophäe und bediente dann aber doch wieder die sexy Illusion der konsumversessenen Puppe, so dass alle alles in den Film projizieren konnten. „Barbie“ spielte für die Warner Bros. 1,44 Milliarden Dollar ein, sechs Millionen Zuschauer hatte er allein in Deutschland. Anfangs ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferte sich die Mattel-Puppe mit einem Stoff, der weitaus härterer Tobak ist: der Lebensgeschichte des „Vaters der Atombombe“, des schillernden Charakters Robert Oppenheimer, gespielt von Cillian Murphy, inszeniert von Christopher Nolan. Ergebnis: weltweit knapp eine Milliarde Dollar, über vier Millionen deutsche Zuschauer – und das bei einem komplexen Dreistunden-Epos. Die Medien hielten den Hype lange am Laufen, indem das Konkurrenz- und KinorettungsDuo „Barbie“ und „Oppenheimer“ ein eigenes Label verpasst bekam: „Barbenheimer“. Übrigens konnte Deutschland filmisch in diesem Jahr nachderOscarnacht noch auf Weiteres stolz sein: bei den Europäischen Filmpreisen wurde – nach „Toni Erdmann“ - endlich auch die gebürtige Thüringerin Sandra Hüller als Darstellerin gefeiert – in „Anatomie eines Falls“, einem französischen Film, in dem sie eine Deutsche spielt, die ihren Mann ermordet haben könnte. Und dann räumte beim Deutschen Filmpreis – natürlich neben „Im Westen nichts Neues“ – das Drama „Das Lehrerzimmer“ ab: Bester Film, Beste Regie (Ilker Çatak), Bestes Drehbuch, Beste weibliche Hauptrolle (Leonie Benesch), Bester Schnitt. Der Siegeszug seit der Berlinale im Februar hält an – und könnte sich international noch ausweiten als „The Teacher’s Lounge“. Adrian Prechtel Regisseur Edward Berger und Schauspielerin Sandra Hüller sind unsere Stars. Und „Barbenheimer“ rettet die Kinowelt Edward Berger im März mit seinem Oscar . Foto: John Angelillo/Imago Sandra Hüller mit dem Europäischen Filmpreis. Foto: C. Söder/Imago Barbie-Darstellerin Margot Robbie mit der pinken Regisseurin Greta Gerwig im Juli. Foto: Jeff Mayer / Imago Christopher Nolan (links) mit seinem Darsteller von Robert Oppenheimer Cillian Murphy. Foto: Avalon Lieblings Ende: Gottschalk Thomas Gottschalk wird am 25. November aus dem „Wetten, dass“-Studio in Offenburg weggebaggert. Foto: Arnulf Hettrich / Imago Kindern übrig. Dass die 36-jährige Serbin als Tennisspielerin eine unglaubliche Karriere hingelegt hat, schien dem Moderator egal zu sein. Im Gespräch mit Shirin David zeigte er sich erstaunt darüber, dass die Rapperin Opernfan und Feministin sei. Die 28-Jährige ließ sich glücklicherweise nicht einschüchtern und bot ordentlich Paroli („Als Feministin können wir klug, eloquent und wunderschön zugleich sein.“). Gottschalk macht es offenbar nichts aus, dass er wirkt, als sei er aus der Zeit gefallen und bezeichnet sich selbst als „alten, weißen Mann“. Dass er nicht gewillt ist, sich weiterzuentwickeln, macht er in seinen abschließenden Worten deutlich: „Ich habe im Fernsehen immer das gesagt, was ich zu Hause auch gesagt habe. Inzwischen rede ich zu Hause anders als im Fernsehen und das ist auch keine dolle Entwicklung. Bevor hier irgendein verzweifelter Aufnahmeleiter hin und her rennt und sagt, ,du hast wieder einen Shitstorm hergelabert’, dann sage ich lieber gar nichts mehr.“ Zumindest eins hat die TV-Legende erkannt: Seine Zeit ist abgelaufen. Sven Geißelhardt Take That, Cher, Helene Fischer, Matthias Schweighöfer, Shirin David, Jan Josef Liefers – die Gästeliste für den „Wetten, dass?“-Abschied von Thomas Gottschalk war hochkarätig, die Wetten der Kandidaten gewohnt absurd. Trotz dieser hervorragenden Voraussetzungen war die Sendung schwer erträglich. Das lag vor allem am scheidenden Gastgeber, der sich als Fossil der deutschen Unterhaltungsbranche präsentierte. Vor Jahrzehnten galt die forsche Art von Thomas Gottschalk als frech und charmant, doch in der heutigen Zeit wirkt es eher übergriffig und unverschämt. Die Jugend würde den Auftritt am 25. November als „cringe“ bezeichnen. Die Neugier des Publikums war dennoch riesig, der Show folgten über 13 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer. Bereits in den ersten Minuten seiner letzten „Wetten, dass?“-Ausgabe zeigte der 73-Jährige nur wenig Sinn für Feingefühl. Während er mit Ex-FC-Bayern-Profi Bastian Schweinsteiger über die kommende EM und seinen Job als TV-Experte plauderte, blieben für dessen Ehefrau Ana Ivanovic nur Fragen zu Haushalt und Was ist die Sendung der Maus? Der Kulturkampf um Disney wurde jahrzehntelang von linksliberaler Seite gegen die „kinderverderbende“ Konservativität des Unterhaltungskonzerns geführt. Und jetzt? Der reaktionäre republikanische Präsidentschaftsanwärter und Gouverneur von Florida, Ron De Santis, erklärt der Firma mit der Maus, die in seinem Territorium ein großes Disneyland betreibt, einen Kulturkampf: Disney sei mittlerweile politisch korrekt verseucht. Und bei der „Eisprinzessin“ Elas vermutet das konservative Amerika schon länger verdächtige lesbische Vibes. Nun feierte der globale US-Konzern im ungewohnten politischen Gegenwind Geburtstag. Aber man stelle sich vor, da feiert eine Berühmtheit 100. Geburtstag – und keiner kommt. Was hat sich der Konzern mit der Maus gewünscht? Dass sein aktueller Animationsfilm „Wish“ ein voller Erfolg wird. Aber der wird wohl ein kapitaler Flop. Um das Ausmaß des Desasters zu verstehen, muss man bei einem Produkt wie „Wish“ zu den 200 Millionen Dollar Produktionskosten noch einmal ein Marketing-Budget dazuzählen. Es sind also wohl 350 Millionen Dollar im Spiel. Und weil beim Kino die Hälfte des Eintrittspreises bleibt, müsste „Wish“ über 700 Millionen einspielen, um wenigstens die Ausgaben zu decken. Doch „Wish“ sammelte weltweit in drei Wochen nur 126 Millionen Dollar ein. Der Film ist einfach schlecht, feige, konfus und ohne Witz. Und das spricht sich auch beim größten Werbeaufwand beim Publikum herum. Zu viele Drehbuchdoktoren und Berater haben alles vielleicht doch zu glatt und steril gemacht. Natürlich kann ein Konzern wie Disney auch mal einzelne Flops wegstecken – aber eine Serie? Diesen Sommer wollte Disney mit „Elemental“ die Elemente herausfordern: Feuer, Wasser, Luft und Erde wurden personifiziert und als MultiKulti-Community zusammengespannt. Aber das Feuer zündete nicht richtig: Einspielergebnis weltweit: eine halbe Milliarde Dollar, was nach viel klingt, aber.... (siehe „Wish“). Seit Jahren hat Disney eine Reihe gestartet, große Animationserfolge als Realfilme herauszubringen. In diesem Jahr war „Arielle“ dran – Disneys Erfolg von 1989. Und dem Kinostart im Mai war bereits die Diskussion vorausgegangen, ob die nordische Andersen-MärchenFigur denn eine Person of Color sein könne. Das Einspielergebnis: etwas über eine halbe Milliarde Dollar. Alles zusammen ist die große Geburtstagsfeier für Disney 2023 nicht richtig in Gang gekommen. Und die Frage bleibt: Was tun? Wieder frecher, freier, künstlerischer werden oder bekannte Stoffe weiter auswalzen? Aber auch das ist ja keine Erfolgsgarantie mehr – bis auf die „Eiskönigin“, deren Fortsetzung schon für 2025 angekündigt ist. adp Was tun, wenn es – ausgerechnet zum 100. Geburtstag von Disney – nicht mehr richtig läuft? Asha ist die Heldin im aktuellen „Wish“. Foto: Disney Studios Halle Bailey als Kleine Meerjungfrau. Foto: Giles Keyte / Disney

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