Abendzeitung vom 31.10.2023

„Entscheidend ist Sexyness“ Slow Fashion ist nachhaltige Mode. Sie wird aus umweltfreundlichen Materialien zu fairen Arbeitsbedingungen produziert. An der Deutschen Meisterschule für Mode, Roßmarkt 15, entwerfen 90 Modeschülerinnen – und Schüler – zeitgemäßen Style. Ein grüner Lebensstil spielt für die jungen Leute eine große Rolle: mit Recycling und Upcycling von Altkleidern. Bei der Modenschau in der Muffathalle ist das zu sehen: Die letzte Modellkollektion der Meisterschüler bestand komplett aus „Dead-Stock“-Materialien, wie es in der Branche heißt – aus unverkäuflichen, übrig gebliebenen Stoffen, die schon Jahre liegen. Sie wären großenteils in der Müllverbrennung gelandet. Ein Team um Roland Müller-Neumeister hat sie aus dem Müllcontainer gerettet. Der Künstlerische Leiter der renommierten städtischen Münchner Meisterschule für Mode erklärt in der Grünen AZ den Wandel in der Mode-Szene und in der Textilindustrie. AZ: Herr Müller-Neumeister: Tragen Sie Grüne Mode? ROLAND MÜLLER-NEUMEISTER: Ich kaufe immer wieder nachhaltige Lieblingsteile, die unsere Schülern entworfen und genäht haben. Sie sind aus ausgemusterten Stoffen, die Firmen nicht mehr wollten. Meiner modeaffinen Tochter schenke ich Stücke aus diesen Kollektionen. Ich erinnere mich an eine raffinierte Hose, mit tiefen Taschen, versteckt in Falten – Cargo de Luxe! Ihre Füße stecken in Turnschuhen von Veja. Haben Sie andere nachhaltige Accessoires? Der Nachhaltigkeits-Aspekt meiner Garderobe sind Vintage-Teile, die ich seit 30 Jahren trage. In den 90er Jahren war einer meiner Lieblingsdesigner Helmut Lang, der für mich viel zu teuer war. Damals bin ich um seinen Laden im Bayerischen Hof herumgeschlichen, habe die Sales abgewartet. Eine gutgemachte Jeansjacke mit Ledereinsatz stibitzt mir meine Tochter. Meine alte Vintage-Mode wechselt so zur nächsten Generation. Recycling, Upcycling – eine Mission der städtischen Modeschule ist es, die Schülerinnen und Schüler für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Das war einmal Teil der Mission. Im Grunde muss ich 2023 nicht mehr viel machen. Vor vielleicht zwölf Jahren hatte ich ein Upcycling-Projekt mit einem Stylisten, das war noch mühsam. Die Schüler hatten damals noch keinen Bock sich den ollen Klamotten zu befassen. Sie meinten: Wir sind Schneider, wir haben Know-how. Sie fanden die alten Sachen befremdlich – und ich hatte ein schlechtes Gewissen: Was tue ich ihnen hier an? Und wie ist es heute? Heute ist es total gekippt. Unsere Schüler für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren braucht’s nicht mehr. Bei Bewerbungsinterviews kommt bei der Frage: Warum macht ihr Mode? durch die Bank die Antwort: Ich habe schon immer alte Sachen gekauft und umgearbeitet oder Kleidung aus dem Schrank von Mutter und Großmutter aufgetrennt. Das ist der neue Mainstream! Ich habe etwas vom Flohmarkt und mache etwas draus. Nicht: Ich kaufe mir einen schönen Stoff und nähe mir ein neues Sommerkleid. Sie finden, ein Teil aus Altkleidern sollte präzise gearbeitet sein. In meiner Generation war etwas Umgearbeitetes zweitklassig – außer es war punkig oder man war mit künstlerischer Attitüde unterwegs. Jetzt soll etwas Umgearbeitetes richtig cool wirken. Upcycling-Mode ist wie ein Kreativitätsausweis und beweist handwerkliche Kompetenz. Du nimmst die Jacke vom Onkel, änderst die Silhouette, machst vielleicht noch Nieten dran, findest noch ein edgy Unterteil dazu – das bringt Image, du hast den Jackpot. Das ist besser als gekauftes Balenciaga! Zumindest in unserer Szene. Woanders in München nicht? In Grünwald wahrscheinlich eher nicht. Dort gilt die Marke. Doch die junge Generation an unserer Modeschule erzieht uns Ältere. Die Schülerinnen und Schüler wertschätzen den Kleidung-Fundus, der da ist – und spielen damit. Sie sind nicht Sklaven der kapitalistischen Immer-Neu-Maschinerie. Wer kreativ ist, erhebt sich damit auch etwas über die, die es nicht sein können. Wie steht es um den Trend zur Nachhaltigkeit? Wenn Nachhaltigkeit eine gewisse Sexyness hat, mit der man sich profilieren kann, fängt Nachhaltigkeit an, interessant zu werden! Das ist der Knackpunkt: Etwas sieht gut aus, das weckt Begehrlichkeiten. So kommt Glamour in das Thema. So kann Nachhaltigkeit zum Trendsetter werden. Was ist denn die Schwierigkeit mit Upcycling-Kleidung? Die Krux ist, dass man nach riesigen Verwandlungsprozessen Einzelstücke hat – und keine Serie draus machen kann. Das ist preislich heikel. Ein Stück, das zwei Tage liebevoll umgenäht wurde, kann nicht 12,95 Euro kosten. Allerdings entsteht durch tolle Upcycling-Einzelstücke eine neue Ästhetik – die auffällt und gefällt. Das nehmen Modefirmen auch auf. Das Baby ist auf der Welt. Die Firma MAC Jeans bei Regensburg hat Ihnen 2023 DeadStock-Stoffrollen überlassen, ebenso die Trachtenfirma Gottseidank. Ich bin zu MAC gefahren und durfte einen kleinen Lieferwagen bis unters Dach vollpacken mit Jeans-Stoffen für unsere Schule. Von der Trachtenfirma haben wir palettenweise ausgemusterte Dirndlstoffe, edlen Jacquardstoff und Leinen geschenkt bekommen. Auf der Glow-Modenschau in der Muffathalle haben Sie berichtet, dass Sie Stoff aus dem Müll retten konnten. Das kam so: Eine ehemalige Schülerin wusste, dass die Firma René Lazard liquidiert wurde. Ich habe bei der Modefirma angerufen, ob unsere Modeschule übrigen Stoff haben kann. Vor Ort waren dann die Stoffballen für uns teilweise originalverpackt. Weiter hinten waren andere Stoffe in den Müllcontainer gewandert. „Das ist schade“, haben wir uns gedacht. Zu dritt sind wir in den Schneeregen hinaus, haben Futter und Einlagestoffe gerettet, für unser Schneider-Handwerk. Ist München ein wichtiger Standort für Grüne Mode? Ja, auch wegen der hohen Kaufkraft in der Stadt. Es gibt sehr viele kleine Firmen, die etwas mit Grüner Mode versuchen. In Zukunft kann beim Recycling von Altkleidern übrigens die KI helfen, Textilien nach ihrer Zusammensetzung zu sortieren. Denn 80 Prozent der Kleidung besteht aus Mischgewebe. Reine Wolle und reine Baumwolle ist sehr gut zu recyceln. Ist Mode aus Ozeanplastik tatsächlich nachhaltig oder kann das Verbrauchertäuschung sein? Plastikrecycling aus dem Ozean klingt besser, als es von der Energiebilanz her ist. Doch: Recycelte Plastikstoffe sind manchmal wirklich toll! Du freust dich als Konsument über die Optik. Und wenn der Käufer zwei Teile zur Auswahl hat, die er gut findet – und eins davon ist nachhaltiger, kauft er eher dieses. Sie plädieren dafür, sich für Grüne Mode zu entscheiden – obwohl nicht immer klar ist, wie grün sie genau ist? Selbst wenn die Energiebilanz nicht brillant ist: Wenn ein Kleidungsstück nur 20 Prozent nachhaltiger als ein anderes ist, sehe ich das als starkes Argument für diese Mode. Denn der Kauf unterstützt die Strategien von Designern und Firmen, ressourcenschonende Techniken zu entwickeln. Das ist ein Fortschritt, es bildet sich ein neues Bewusstsein. Strick und Nachhaltigkeit passen gut zusammen, sagen Sie. Bitte erklären Sie das. Genau, weil man Strick gut reparieren kann. Der Charme am Strick ist, dass man ein Stück bis zu seinem Ursprung auflösen kann. Man erobert sich das Garn zurück – macht aus einem alten Pulli einen neuen Strickrock. Mit der Münchner Designerin Alexandra Biron von Curland haben unsere Schüler 30 teilweise schon getragene Norweger-Pullover neu zusammengesetzt. In grünen Mode-Shops: Welche Designer schätzen Sie? Die Pariserin Marine Serre ist eine radikale Designerin, die von Anfang an 60 bis 80 Prozent ihrer Kollektion aus fertigen Sachen herstellt. Sie ist für ihr Mond-Logo bekannt und wird aktuell gefeiert – ich finde zu Recht. In Deutschland fallen mir ein: die grünen Modelabels Armedangels oder 1C1Y. In München empfehle ich die nachhaltige Designerin Alexandra Biron von Curland kennenzulernen. Mit Unterstützung der Stadt eröffnet sie am 1. November einen Laden in der Münchner Burgstraße. Interview: Eva von Steinburg Nur so wird nachhaltige Mode zum Trendsetter: Das sagt der Künstlerische Leiter der Meisterschule für Mode. Er hat schon Stoffe aus dem Müll gerettet Roland MüllerNeumeisterplant jedes Jahr eine Modenschau in der Muffathalle, die auch Münchner Stadträte besuchen. Fotos: Hannes Magerstädt Im Lager: Alle Farben, viele Rest-Stoffe, die Modefirmen entsorgen. Die Modeschüler nahe Sendlinger Tor arbeiten oft mit diesem Material. Kreatives Upcycling: Die Modeschüler trennten Pullis auf, strickten Stylisches. Ihre Ausstellung in der Pinakothek der Moderne. Foto: privat In der renommierten Berufsschule wird grün gedacht. 90 Modeschüler schneidern in diesem altehrwürdigen Gebäude am Roßmarkt 15. ‚‚ Stoff ist viel zu schade für den ‘‘ Müllcontainer ‚‚ Eine Jeansjacke trage ich seit ‘‘ 30 Jahren AZ-INTERVIEW mit Roland MüllerNeumeister (65) Der Dozent sieht einen Bewusstseinswandel bei Modeschülern und Nachwuchsdesignern. AUS ALT MACH NEU: WIE MODESCHÜLER GLAMOURÖSES AUS GEBRAUCHTEN KLEIDERN UND ALTEN STOFFEN SCHAFFEN ABENDZEITUNG DIENSTAG/MITTWOCH, 31.10./1.11.2023 WWW.ABENDZEITUNG.DE 3 MÜNCHEN Gekennzeichneter Download (ID=WsXuUSf05h1xI8_-ceHmHg)

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