Abendzeitung wird 75 Jahre alt

Auf viele gute Jahrzehnte! AZ: Herr Siegel, seit wann ist Ihnen – mit ihren 77 Jahren – die Abendzeitung vertraut? RALPH SIEGEL: Mir war schon mit acht oder neun Jahren die Abendzeitung ein Begriff – ja, mehr als das. Denn mein Vater – wir wohnten in Rimsting am Chiemsee – brachte am Wochenende aus München immer die Abendzeitung mit, in München gehörte sie einfach zur Stadt. Aber mein Vater brachte nicht nur die Zeitung mit: Zusammen mit seinem Freund Peter Schaeffers, der Schlagertexter, Filmproduzent und Verleger war, kam da amWochenende die Film- und Musikwelt zu uns. Meine Mutter hatte es schwer, weil mein Vater immer alle einlud – Dutzende! – zu „Jubelfesten“, wie das alle nannten. Darunter waren dann Speichellecker und echte Freunde, und im Sommer waren die Damen damals schon im Bikini. Unter den Gästen war auch meist Hannes Obermaier, genannt „Hunter“, der Klatschkolumnist der Abendzeitung, der sonst ja nur in der Falk’s Bar im Bayerischen Hof residierte. Und da traf ich ihn dann auch, als ich nach München gezogen bin und habe mir den Spruch gemerkt: „Hannes Obermeier lebt von dem, was er nicht schreibt.“ Weil da doch einige viel Schweigegeld gezahlt haben sollen. Sie auch? Nein, ich habe wenig zu verbergen. Aber mit Hunters Nachfolger, dem Frechdachs Michael Graeter, hatte ich eine kurze schwierige Zeit, als aus unserem freundschaftlichen Verhältnis kurz ein verstimmtfeindschaftliches wurde. Wieso? Weil ich, während er längere Zeit in Paris war, ein kurzzeitiges Verhältnis mit Hannelore Elsner hatte, die in der Zeit eigentlich mit ihm zusammen war, offiziell aber schon mit dem Schauspieler Gerd Vespermann … Naja. Mit dem Graeter ging es dann aber auch wieder gut. Und als ich vor sieben Jahren meine Autobiografie schrieb, habe ich die Hannelore gefragt, ob ich unsere Liaison erwähnen dürfte, und sie hat zu mir gesagt: „Ralph, du warst immer so bezaubernd zu mir. Das kannste ruhig schreiben.“ An wen in der Abendzeitung haben Sie noch stärkere Erinnerungen? Einen Nachfolger vom Graeter, der mir meine Frau ausgespannt hat. Den Namen verdränge ich natürlich. Aber der war ja – Gott sei Dank – auch nur kurz bei der AZ. Und mit Marie von Waldburg bin ich sogar über meinen Onkel angeheirateterweise verwandt. Aber mir war es immer wichtig, auch mal in anderen Ressorts als nur in „Leute“ vorzukommen – mit meinen Werken. Und da gab es dann bald schon Serien über mich als Komponisten und meine Hits mit Anfang, Mitte zwanzig. Und für mich war die Abendzeitung immer ein seriöses Boulevardblatt – eine Zeitung, bei der man stolz darauf sein konnte, dass man vorkam. Ich habe ja auch mit vier Hochzeiten genügend Stoff geliefert. Und ich wollte immer, dass vor allem meine Künstler vorkommen. Was hätten Sie gerne nicht über sich gelesen? „Good news sind bad news und bad news sind good news“, sagt man ja. Und da habe ich mit drei Scheidungen auch was geliefert – und auch, als ich zeitweise in finanziellen Schwierigkeiten war … Aber das ist schon okay, ich verstehe mich auch mit allen meinen Ex-Frauen gut. Aber finden Sie nicht manches ungerecht in der Presse? Klar. Wenn man beim ESC den ersten Platz macht und Witzchen liest wie „Ein bisschen schwanger!“ Überhaupt wurde „Ein bisschen Frieden“ niedergemacht und mit Häme überzogen. Und heute ist es zum geflügelten Wort geworden und man ist doch stolz und hat den Song nach Jahrzehnten immer noch im Ohr. Und dann liest man über mich beim ESC: „Siegel nur Dritter!“, oder beim zweiten Platz „Wieder nicht gewonnen!“. Das ist einfach eine Unverschämtheit, weil die anderen deutschen Beiträge ja dauernd auf dem letzten Platz rumkrebsen. Aber der achte Platz von Guildo Horn wird gefeiert. Und Herr Raab wird als Retter der Nation gefeiert, kann auf Pro7 monatelang seine eigenen Titel promoten. Mit Lena Meyer-Landrut hat er eigentlich nicht mehr zu tun, als sie in der Casting-Show angesagt zu haben. Da sollte die Presse einfach objektiv bleiben und fair sein – auch mir gegenüber. Aber das war die Abendzeitung eigentlich immer. Auch als die ganze Branche auf mein Musical „Zeppelin“ eingehackt hat und es schlechtgeredet hat. Und dann war es ein gigantischer Erfolg. Aber davor der Wahnsinn an Geld, Nerven, Zeit – und dann das Ganze durch die Pandemie zu bringen. . . Also ein reines Lob für die Abendzeitung? Naja, was ich manchmal vermisse: Sensibilität. Meine ExFrau Kriemhild – immerhin am Salzburger Mozarteum ausgebildet – hatte ihr Konzert im Herkulessaal und wurde im Kulturteil der Abendzeitung so grausam verrissen, dass sie sowas von geheult hat und völlig erledigt war. Dabei war das Programm richtig spannend, weil italienische Mozart-Arien ins Deutsche übersetzt waren. Grundlage war ein Album, das sich auch gut verkauft hat. Man muss auch das Engagement von Künstlern würdigen, ihre Leistung. Und es gab stehenden Applaus. Aber ein Kritiker schreibt ja für die Leserinnen und Leser und nicht für die Künstler auf der Bühne. Und er schreibt ja auch nicht, wie es angekommen ist, sondern hat einen eigenenMaßstab. Aber man sollte auch Verständnis für die Leute auf der Bühne haben, die davon leben, die kämpfen, das Risiko eingehen, da vorne zu stehen. Aber natürlich ist die Natur nicht gerecht: Es gibt Naturstimmen, grandiose – wie die von Al Bano. Der hat daran nicht gearbeitet. Ich selbst habe meine Stimme von meinen Eltern und meinem Großvater geerbt und kann über drei Oktaven singen. Andere kämpfen darum. Sie waren als Jugendlicher in Paris, in der Schweiz und in den USA, seitdem kennen Sie die ganze Welt. Was bindet Sie an München? Die Stadt ist wunderbar zentriert, groß genug, aber überschaubar. Und ich glaube, dass das genau das Milieu ist, das eine Zeitung wie die Abendzeitung eben gut abbildet. München ist für mich Klein-Paris, Klein-Washington, Klein-London. Und L.A. und New York, wo ich auch gelebt habe, sind einfach zu groß, um sich dort zu Hause zu fühlen. Und was stört Sie an München? Dass Münchner ins Umland gedrückt werden, weil die Stadt zu teuer ist. Und dass immer mehr Menschen die Münchner Tafel brauchen, ist ja auch beschämend. Obdachlose sollte es auch nicht geben in einer so reichen Stadt. Was war die beste Zeit dieser Stadt? Bevor es zu teuer wurde, so dass es sich entmischt hat. Die 70er bis Ende der 80er waren die besten Jahre. Olympia war die Zeitenwende zum Besten: großstädtisch, weltoffen, aber eben noch zu händeln. Allein die großen Fußballspiele im Olympiastadion und nicht kommerzialisiert in gesponserten Arenen: Das war ein MünchenGefühl. Und dazu gehört auch, dass München andere gut integriert, dass der Grieche und der Italiener einfach ungefragt Münchner sind – wie auch alle anderen und das bei einem sogenannten Migrationsanteil von 40 Prozent. Für mich gibt es nur Paris, die Traumstadt, und Wien, weil es auch Altes bewahrt und trotzdem nicht aus der Zeit gefallen ist, und neben allem: eben mein München mit dem Viktualienmarkt, wo die Marktleute einen kennen. Interview: Adrian Prechtel Komponist Ralph Siegel blickt auf eine lange bewegte Zeit mit der AZ zurück – und erklärt, welche Zeit in München die beste für ihn war Siegel 1968 an seinem Arbeitsgerät, dem Klavier. Bei der Musical-Premiere von „Ein bisschen Frieden – Summer of Love“ mit Ehefrau Laura (links) und Nicole, mit der er 1982 den ESC gewann. Ralph Siegel 2010 mit seiner damaligen Frau Kriemhild. Ralph Siegel bei der Feier seines 76. Geburtstags im September 2021 im Silbersaal des Deutschen Theaters. Alle Fotos: imago AZ-INTERVIEW mit Ralph Siegel Der Musiker, Komponist und Produzent wurde 1945 in München geboren. Gerade startete in Füssen sein Musical „Ein bisschen Frieden – Summer of Love“, zuvor lief hier „Zeppelin“. 40 75 JAHRE AZ ABENDZEITUNG FREITAG, 16. JUNI 2023 WWW.AZ-MUENCHEN.DE 1984 In den Bavaria-Studios ist ein FantasyFilm auf HollywoodNiveau entstanden: „Die unendliche Geschichte“. Der Film ist ein Riesenerfolg, Bundespräsident Richard von Weizsäcker gratuliert am Geiselgasteig Starregisseur Wolfgang Petersen und Glücksdrache Fuchur. Foto: imago 1985 Seit Boris Beckers Wimbledon-Sieg im Juli ist Deutschland im Tennis-Fieber. Der Höhepunkt des Jahres findet kurz vor Weihnachten in der Olympiahalle statt: Deutschland spielt im Davis-CupFinale gegen Schweden. Becker gewinnt beide Einzel, doch das deutsche Team verliert mit 2:3. Foto: imago/ Kicker/Liedel

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