Jahresrückblick 2023

2 DAS WAR 2023 ABENDZEITUNG MITTWOCH, 27. DEZEMBER 2023 WWW.AZ-MUENCHEN.DE JAN FEB OKT NOV MRZ T2023 B APR MAI JUN AUG SEP A JUL DEZ In Kroatien wird jetzt mit dem Euro anstelle der Landeswährung Kuna gezahlt. Kroatien ist damit das 20. Land in der Eurozone. Alle Fotos: dpa 1. Januar Rekordstart für die Memoiren von Prinz Harry: Von der Autobiografie „Spare“ werden am ersten Tag über 1,4 Millionen Exemplare verkauft. 10. Januar Die deutschen Hockey-Herren sind erstmals seit 17 Jahren wieder Weltmeister. Das Team besiegt Titelverteidiger Belgien mit 5:4. 29. Januar Die heftig kritisierte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) tritt zurück. Nachfolger wird Boris Pistorius (SPD). 16. Januar Einkaufen geht extrem ins Geld: Lebensmittel- und Energiepreise trieben die Jahresinflation 2022 auf 7,9 Prozent, das Leben hat sich so stark verteuert wie nie seit Gründung der Bundesrepublik. 3. Januar Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagt der Ukraine 14 Leopard-2-Panzer aus Bundeswehrbeständen zu. Die Lieferung war lange umstritten. 25. Januar MEINUNG Felix Müller Der Lokal-Chef über das Münchner Jahr 2023. felix.mueller@abendzeitung.de Ein bisserl Demut tut gut ‚‚ Immer voller, immer teurer, immer anstrengender: Ja, aus dem Münchner Alltag heraus gedacht, geht immer noch vieles in die falsche Richtung. Dass Verwaltung und Verkehrsbetriebe hilflos auf die Schneemassen Anfang Dezember reagierten, war da nur ein symbolisches Bild dieses Jahres dafür, dass in der reichen Stadt die Infrastruktur total auf Kante genäht ist. Das ist ein großes Problem. Darauf, dass es ernster genommen wird, drängt auch die AZ immer wieder. Und doch bietet sich am Ende dieses langen Jahres wieder ein bisserl Demut und Dankbarkeit an, in München zu leben. Man denke nur zurück an die letzten Jahre – und blicke, vor allem, hinaus in die Welt. Die Millionenstadt mit dem höchsten Migrantenanteil hat weiter – verhältnismäßig – sehr wenige AfD-Wähler. In der vermeintlich so satten Stadt engagieren sich viele, demonstrieren, helfen in Vereinen und Nachbarschaften, spenden, wenn es nötig ist. Hier können Bürgermeister wechseln ohne Schlammschlacht. Überhaupt: Der Ton zwischen den Parteien, in den öffentlichen Debatten ist sachlicher, angemessener als anderswo – in Berlin, aber auch bei den geifernden Spitzen der Staatsregierung. Und das Lebensgefühl? Mei, war das ein Biergarten-Sommer, war das eine Wiesn. Endgültig Corona-Sorgen-frei haben sich die Münchner ihre Stadt zurückgeholt. Und vielleicht noch ein bisserl mehr genossen. Weil nach der Pandemie und in Anbetracht von Krieg und Krisen noch klarer ist, wie leicht das Münchner Leben sein kann. Und wie dankbar man dafür sein darf. „Toll, endlich mal ein Junger“ AZ: Herr Krause, Sie wurden Zweiter Bürgermeister, weil Katrin Habenschaden überraschend hinschmiss. Wie war es, zum ersten Mal in Ihrem großen Büro zu sitzen mit Blick auf den Marienplatz? DOMINIK KRAUSE: Es wäre noch schöner mit mehr Vorlauf gewesen. Aber grundsätzlich ist es eine große Ehre, ein Traumjob in der Kommunalpolitik. Wie verändert es das Leben, mit 33 so viel Macht zu haben? Was sich sehr verändert hat: Ich werde häufiger in der U-Bahn angesprochen, meistens sehr, sehr nett. Innerhalb des Rathauses ist es keine so deutliche Veränderung. Ich bin hier schon seit zehn Jahren. Da war es ein Weiterarbeiten. Ist das Feierabendbier mit Freunden noch drin? Ich versuche, auch mal Zeit dafür zu haben. Aber es kommt seltener vor als früher. Vor was hatten Sie vor Amtsantritt am meisten Sorge? Wir stehen vor großen Herausforderungen in der Stadt. Klar denkt man da darüber nach, wenn man selbst noch jünger ist, ob das passt. Aber gleichzeitig leben in unserer Stadt auch wahnsinnig viele junge Menschen, die genauso vertreten sein wollen – im Stadtrat und in der Stadtspitze. Und nachdem ich jetzt schon seit fast zehn Jahren im Stadtrat bin, gleiche ich das jüngere Lebensalter vielleicht mit der politischen Erfahrung aus. Wie erleben Sie es jetzt? Wenn mich Leute in der U-Bahn ansprechen, sagt ein Großteil: Ah toll, endlich mal ein Junger. Der SPD-OB Dieter Reiter hat sich erst nach Ihrer Wahl geäußert. Hat Sie das überrascht? Mit dem OB komme ich gut aus. Wir haben als Koalition seit Oktober einige große Projekte auf den Weg gebracht – von der Gasteig-Modernisierung über den Mietenstopp für städtische Wohnungen bis zum Sanierungspaket für Wohngebäude – was ein riesen Erfolg für den Klimaschutz ist. Voraussetzung, dass Sie das Amt übernehmen durften, war für die Grünen, dass Sie sich vorstellen können, 2026 als OB zu kandidieren. Was wollen Sie anders machen als Dieter Reiter? Wir wollen als Koalition gute Politik für München machen und nicht jetzt schon über den Wahlkampf sinnieren. Die Fraktion wollte als Bürgermeister eine Person, die grundsätzlich bereit ist für eine Kandidatur. Das ist immer noch so. Aber wir werden in der Partei erst nächstes Jahr darüber sprechen. Im Koalitionsvertrag versprachen Grüne und SPD, fünf TramLinien zu bauen und acht zu prüfen. Halbzeit ist vorbei und es läuft für eine der Bau an. Haben Sie das Ganze unterschätzt? Wir verfolgen alle Projekte weiter. Die Prozesse dauern manchmal einfach länger, als wir uns das wünschen. Es war klar, dass wir nicht nach drei Jahren alles umgesetzt haben. Für die Tram-Westtangente ist ein Baubeginn absehbar. Gerade haben wir die Tram-Nordtangente durch den Englischen Garten auf den Weg gebracht. Da steht noch die Entscheidung des Freistaates aus. Aber ich bin relativ zuversichtlich, dass er das genehmigen wird. Der Finanzminister klang in der AZ nicht so optimistisch. Es gibt eine Zusage vom damaligen Ministerpräsidenten, Herrn Seehofer. Aber der ist in Rente. Ich hoffe, Herr Söder wird nicht aus rein parteipolitischem Kalkül das Wort seines Vorgängers brechen. Es gibt seit der Zusage Seehofers keine neue Situation. Im Gegenteil. Die Notwendigkeit für einen besseren ÖPNV ist eher größer geworden. Es ist doch auch eine Frage von Ressourcen. Die MVG rechnet mit Milliarden allein für den Unterhalt des ÖPNV und arbeitet selbst an einer Streichliste. Keine andere Kommune in Deutschland investiert so viel in den ÖPNV wie München. Das wird so bleiben, selbst wenn einige Projekte ein wenig geschoben werden. Wir machen die Verkehrswende nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil München täglich im Stau versinkt. Ja, der Ausbau von U-Bahn, Tram und Bus kostet sehr viel Geld, ist aber elementar für die Zukunft dieser Stadt. In Hessen fordert der GrüneMobilitätschef, dass Firmen eine Steuer zahlen, um den ÖPNV zu finanzieren. Auch für München denkbar? Die Unternehmen zahlen schon Steuern. Ich würde eher erhoffen, dass der Bund die Steuergelder sinnvoll nutzt, nicht für klimaschädliche Subventionen, sondern für ÖPNV-Projekte. Wie enttäuscht sind Sie über Ihre Parteikollegen in Berlin? Ich will kein Ampel-Bashing betreiben, aber wenn es um Verkehrspolitik geht, ist sicher noch Luft nach oben. In den entscheidenden Ministerien Verkehr und Finanzen sitzen übrigens nicht die Grünen. Auch sonst stockt die Verkehrswende. Die Fußgängerzonen im Tal und in der Weißenburgerstraße waren für dieses Jahr versprochen. Enttäuscht? Die Verkehrswende stockt nicht, im Gegenteil. Natürlich wünschen wir uns oft, dass Dinge schneller gehen. Aber manchmal ist es nicht schlecht, wenn man sich Zeit nimmt, gerade wenn von Anwohnern Bedenken kommen. Anscheinend wollen die Anwohner nicht, dass Palettenmöbel auf den Parkplätzen stehen. Warum zwingen die Grünen den Leuten ihren Lebensstil auf? Die Frage, wie wir mit öffentlichem Raum umgehen, war entscheidend bei der letzten Kommunalwahl. Da wünschte sich die Mehrheit, dass wir die Aufenthaltsqualität verbessern. Insofern zwingen wir niemandem etwas auf, sondern setzen um, was die Münchner mehrheitlich wollen. Das klappt manchmal schlechter und manchmal besser. Ein Beispiel, wo das hervorragend gelungen ist: die Schanigärten. Da gab es vorher auch viele Vorbehalte. Beim Gasteig geht seit Jahren nichts voran, es wird nur teurer. War es ein Fehler, auf einen Investor zu setzen? Wir haben gerade zwei fette Krisen hinter uns. Beim Gasteig gab es im Vorfeld Marktsondierungen. Da haben sich mehrere Investoren gemeldet, die bauen wollten. Dann kam der UkraineKrieg und die Situation war eine völlig andere. Statt einer Sparlösung will die Stadt eine teure Generalsanierung. Auch der Freistaat plant an einem Konzertsaal. Wie viele Bühnen braucht München? Wir können ja nur den städtischen Teil, also den Gasteig, betrachten. Da hat man festgestellt, dass eine Grundsanierung 80 bis 85 Prozent einer Generalsanierung kosten würde – das wäre eine teure Sparlösung. Was der Freistaat macht, ist Sache des Freistaates. Wann rechnen Sie damit, dass die Münchner in ihrem renovierten Gasteig Konzerte hören? Ich fürchte, dieses Jahrzehnt könnte es eng werden. Was steht 2024 ganz oben auf Ihrer Prioritätenliste? Ganz zentral ist, dass die Stadt weiterhin für alle da sein wird, besonders für diejenigen, die die Krisen finanziell schwer erwischt haben. Die alles bestimmenden Themen sind natürlich weiterhin der Wohnungsbau, der Ausbau des ÖPNV und Klimaschutz – und der Erhalt der gebeutelten Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes. Außerdem finde ich es spannend, in eigentlich allen Bereichen neue Möglichkeiten der Digitalisierung mitzudenken, wie zum Beispiel durch neue Technik den Verkehr flüssiger zu machen. Ampelschaltungen, die auf Verkehrsflüsse reagieren oder Schnittstellen für Navigationssysteme, die dann anzeigen, mit welcher Geschwindigkeit man eine Grüne Welle mitnehmen kann. Das würde uns vielleicht von dem Titel „Stauhauptstadt Nummer eins“ wegbringen. Und die Grünen weg vom Titel „Autohasser Nummer 1“? Diese alte Kamelle kann ich mittlerweile nicht mehr hören. Autos, zunehmend E-Autos, werden weiterhin Teil des Mobilitätsmixes sein, denn es gibt nun mal Menschen, die darauf angewiesen sind. Aber in einer dichter werdenden Stadt kann nun mal nicht jeder mit dem Auto fahren. Das ist kein Hass, sondern einfach die Realität. Was können die Münchner nächstes Jahr von Ihnen als Bürgermeister erwarten? Im nächsten Jahr will ich rausgehen aus dem Rathaus. Wir haben ja als Stadt bereits Formate wie Bürgerversammlungen, aber mich treibt etwas anderes um: Wenn wir als Gesellschaft wieder mehr zusammenwachsen wollen, müssen wir auch wieder mehr miteinander sprechen und uns nicht auf Social Media Kommentare um die Ohren hauen. Insbesondere auch unter denjenigen, die gegenteilige Meinungen haben – da möchte ich gerne einen Anfang machen. Interview: Christina Hertel Mit 33 wird der Grüne Dominik Krause plötzlich Zweiter Bürgermeister. Was sich seither für ihn verändert hat – und was seine Pläne für 2024 sind, erzählt er im AZ-Interview DominikKrause (33) ist der neue Zweite Bürgermeister Münchens. Und 2026auch OB-Kandidat? Foto: Hannes Magerstädt AZ-INTERVIEW mit Dominik Krause Der 33-Jährige sitzt seit zehn Jahren für die Grünen im Münchner Stadtrat, zuletzt war er Fraktionschef. 2023 kam der überraschende Karrieresprung zum Zweiten Bürgermeister. ‚‚ Ich will mit denen reden, die andere ‘‘ Meinungen haben

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