Abendzeitung wird 75 Jahre alt

49 75 JAHRE AZ ABENDZEITUNG FREITAG, 16. JUNI 2023 WWW.AZ-MUENCHEN.DE Von Brigitte Hobmeier Meine erste Begegnung mit der AZ endete schmerzhaft und war zugleich eine Art Weckruf. Bei dem Versuch, mit Rollschuhen um eine Straßenecke zu flitzen, knallte ich an einen Kiosk. Obendrauf lag die AZ. Trotz zahlreicher Blessuren schnappte ich mir den Kulturteil mit den Theater- und Filmkritiken und las: „Fabelhafte Bühnenpräsenz, sensibel und revolutionär, mal zarte Undine, mal resolute Revolutionärin, Darstellerin des Jahres, neuer Stern am Theaterhimmel usw.“ Es wimmelte nur so von euphorischen Superlativen. Ob man das je auch über mich schreiben würde? Längst hatte ich gegen den erbitterten Widerstand meiner Eltern beschlossen, Schauspielerin zu werden. Ein Mädel vom Dorf in diesem Sündenpfuhl… Ich lernte zu kämpfen ums Überleben, um die Finanzierung der Ausbildung an der Folkwangschule in Essen, gegen die ständigen Zweifel an meiner Begabung, an der Fähigkeit, mich in die unterschiedlichsten Rollen hineinzufinden. Die Lektüre der AZ – damals mein einziger Luxus – mit Texten über die bewunderten Vorbilder, aber auch über erfolgreiche Neulinge, bestärkte mich in der Überzeugung: Wenn die es geschafft haben, gelingt es mir vielleicht auch. Das bedeutete: arbeiten, zuhören, sich zunächst mit ganz kleinen Rollen begnügen. Der Durchbruch kam am Münchner Volkstheater mit dem Kultstück „Geierwally“. Beim ersten Durchlesen des Textes dachte ich nur: „Oh Gott, wie komme ich mit so viel Pathos zurecht? So viel Kitsch!“ Aber dann sagte ich im Interview mit der AZ: Man muss die Rolle ernst nehmen. Das Mädchen geht seinen Weg. Es hat sich entschieden für die Liebe und verteidigt sie bis zum Schluss. Das dürfe man nicht parodieren oder aktualisieren. Man braucht die Historie für Die Abendzeitung hat die Karriere der Münchner Star-Schauspielerin Brigitte Hobmeier von Beginn an verfolgt. Und wie hat sie all die Jahre auf uns geblickt? das gesellschaftliche Umfeld, damit der Konflikt funktioniert. Damals lernte ich Demut. Ein Ausflug nach Hannover gab mir die Chance, in Peter Steins Mammutprojekt „Faust“ in winzigen Rollen mitzuwirken. Aber ich wollte unbedingt den Mann kennenlernen und von ihm lernen, der so großartig Theatergeschichte geschrieben hat. Leider waren die Kritiken verheerend in Hannover, Berlin und Wien. So landete ich schnell und unsanft auf dem Boden der Kritiker-Realität. Ich beschloss, keine mehr zu lesen. „Monster auf der Matratze“, titelte die AZ über Brigitte Hobmeiers „Lulu“. Sie spielte die Figur 2002 bis 2005 am Volkstheater. Foto: Volker Derlath Und ausgerechnet ein paar Stücke, über die ich mich heute noch ärgere, weil sie so schlecht waren, wurden positiv beschrieben – leider auch von meiner AZ! Ich hätte einen Verriss hingedonnert über den Regisseur, das Konzept, einfach alles. Wenn man den Texten der AZ glauben darf, war ich inzwischen in München zum Star an den Kammerspielen avanciert. Ich durfte AZ-Sterne entgegennehmen, den Bayerischen Filmpreis, den „Faust“-Preis, den Münchner Theaterpreis, wurde Schauspielerin des Jahres. Ich schlüpfte in die Rolle der legendären „Sissi“ und wurde zu Wedekinds männermordender Lulu – „Monster auf der Matratze“, titelte die Abendzeitung. Ich radelte als Buhlschaft durch Salzburg und durfte dank des Münchner Publikums über ein ganzes Jahrzehnt und unter drei Intendanten der Münchner Kammerspiele hinweg die „Susn“ von Herbert Achternbusch spielen. Vier Lebensstationen einer Frau. Es sollten, nach Achternbuschs Regieanweisung, eigentlich vier verschiedene Darstellerinnen sein. Die AZ schrieb damals: „Regisseur Thomas Ostermeier entschied sich für eine, Brigitte Hobmeier, eine wundervolle Schauspielerin, die bravourös von der jugendlichen Madonnenschönheit wechselt zur Studentin mit den erotischen Träumen, zur liebeshungrigen Frau, zur lebensenttäuschten Alten.“ Erst beim Durchstöbern der alten AZ-Ausgaben, die meine inzwischen stolze Mutter gesammelt hat, wurde mir klar, wie viel ich der Münchner Abendzeitung zu verdanken habe. Den Ritterschlag allerdings erhielt ich erst durch die Einladung zu einem „Teller Suppe“ von der Grande Dame Anneliese Friedmann, der langjährigen Inhaberin und Herausgeberin der Abendzeitung. In ihrem Salon traf sich alles, was in München Geist, Witz und Namen hatte. Und Gnade vor ihren gestrengen Augen. Erst durch sie fühlte ich mich richtig angekommen im Fegefeuer der Kunst. Herzlichen Glückwunsch zum 75., liebe Abendzeitung! Das Geburtstagskind, es lebe hoch, hoch, hoch! Zurzeit ist die Schauspielerin in „Spitzenreiterinnen“ am Marstall zu sehen. Foto: Birgit Hupfeld Die AZ und ich Brigitte Hobmeier kann als Schauspielerin Frauen aller Farbschattierungen spielen. Hier ist sie 2016 beim BR Filmbrunch zu sehen. Foto: imago 2016 erhielt sie selbst den AZ-Stern des Jahres für den Fernsehfilm „Luis Trenker“, gemeinsam mit Peter Probst, Tobias Moretti und Wolfgang Murnberger. Foto: Daniel von Loeper Am Volkstheater schaffte Brigitte Hobmeier 2002 als „Geierwally“ den Durchbruch. Foto: Johannes Seyerlein AZ-Verleger Martin Balle konnte Brigitte Hobmeier schon bei mehreren AZ-Sternefesten im Lustspielhaus begrüßen, hier im Jahr 2017. Foto: Daniel von Loeper AZ-GASTBEITRAG vonBrigitte Hobmeier Die vielfach ausgezeichnete Schauspielerin wurde 1976 in München geboren. Sie spielte von 2002 bis 2005 am Volkstheater und von 2005 bis 2017 als Ensemblemitglied an den Kammerspielen. Drei Jahre lang war sie die Buhlschaft im „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen. Im Fernsehen spielte sie unter anderem in „Die Hebamme – Auf Leben und Tod“

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