Die nachhaltige Abendzeitung

6 ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG/MONTAG, 29.4./30.4./1.5.2023 WWW.ABENDZEITUNG.DE MÜNCHEN WO ESSEN GUT FÜR DIE UMWELT IST – UND WIE KLIMA- UND DENKMALSCHUTZ IN EINKLANG GEBRACHT WERDEN KÖNNEN Natürlich wirtschaften Von Ruth Frömmer Ob Schnitzel, gehobene Küche oder rein pflanzliche Eiscreme. Viele Gastronomen beweisen gerade, dass nachhaltige Küche und Genuss wunderbar zusammenpassen. Das Heimwerk Eine Restaurantkette mit heimischer Küche inklusive hochwertiger, regionaler Zutaten – geht das überhaupt? Auf die Fahnen schreiben sich das viele, aber wenn man genauer nachfragt, sieht’s meist gar nicht mehr so nachhaltig aus. Archibald von Keyserlingk ist mit Wienerwald aufgewachsen und hat gesehen, wohin es mit der Systemgastronomie gehen kann, wenn man nicht mit dem Markt geht. Er war auch als Berater für Systemgastronomen wie McDonald’s, Tank & Rast und Maredo tätig. „Aber irgendwann war es einfach an der Zeit, es selbst und auf ganz eigene Art zu machen“, sagt er. 2016 eröffnete er das erste Heimwerk-Restaurant. Dort gibt es Schnitzel und mehr aus nachhaltiger, regionaler und fairer Produktion. Dass es ihm ernst ist, zeigt er durch seine offizielle Unterstützung von Slowfood. Der Verein steht für den Erhalt bäuerlicher Landwirtschaft, traditionelles Lebensmittelhandwerk, regionale Arten- und Sortenvielfalt und faire Entlohnung der Erzeuger. Drei Restaurants gibt es inzwischen in München und Düsseldorf. Serviert werden auch vegetarische SchnitzelAlternativen und weitere einheimische Gerichte aus regionaler und nachhaltiger Produktion. In jedem Restaurant hängen an der Wand die Informationen zu den jeweiligen Lieferanten. Um Lebensmittelverschwendung entgegenzuwirken, kann der Gast jedes Gericht in zwei verschiedenen Größen bestellen und sich die Beilagen individuell aussuchen. Ebenfalls interessant: die Gäste können sich kostenlos Leitungswasser zapfen. heimwerk-restaurant.de Mural Farmhouse Ohne Salz, Pfeffer, Kaffee und Wein geht’s in der gehobenen Küche nicht. Das sind die einzigen Produkte, die Rico Birndt für sein Mural Farmhouse von weiter her importiert. Alle anderen Zutaten kommen aus einem Umkreis von maximal 40 Kilometern. Klingt einfach, ist es aber ganz und gar nicht. Denn auch Standardzutaten wie Zitronen fallen damit weg. Aber Rico Birndt ist kreativ. „Meine Küche ist wie eine Art Labor“, hat er der AZ im vergangenen Jahr erzählt. Säure schafft er zum Beispiel mit einheimischen Zutaten wie Zierquitten, Essig oder Verjus vom Winzer. Viel Obst, Gemüse und Kräuter baut er selbst auf der Dachterrasse seines Restaurants in Obersendling an. Die Speisekarte wechselt je nach Verfügbarkeit. Vieles wird eingekocht, fermentiert und eingelegt. Bei Fleisch und Fisch wird jeweils das ganze Tier verwertet. Inklusive Knochen und Karkassen für Suppen und Brühen. Wer sich einmal komplett durchs Repertoire probieren will, bestellt das 14-Gänge-Menü für 130 Euro – das gibt es auch in vegetarisch oder pescetarisch. Oder man stellt sich seine Gänge selbst aus der Speisekarte zusammen und schaut, was die Küche so alles aus Chicorée, Saibling und Schwammerl zaubert. Birndt beweist, dass nachhaltige Küche auch auf Feinschmecker-Niveau funktioniert. Das Mural Farmhouse wurde gleich in seinem ersten Jahr mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Gmunder Str. 27 Eisbrunnen Es ist eine Kunst, aus Pflanzen etwas zu kreieren, was zu einer Bühne wird für Geschmacksentfaltung“, sagt Lucy Allary. Die 31-Jährige hat jahrelang an einem Eis getüftelt, das nicht nur hervorragend schmeckt, sondern auch mit rein pflanzlichen Zutaten auskommt. Sie hat viele Eismessen besucht und schließlich ist es ihr gelungen, ein wirklich cremiges und köstliches veganes Eis herzustellen. Ihre Eisdiele am Lenbachplatz heißt Eisbrunnen, ging letztes Jahr an den Start und ist sofort eingeschlagen bei den Münchnern. Sorten wie Popcorn-Karamell, Kürbiskern-Himbeere und orientalischer Zimt sind fein abgestimmt und machen süchtig. In ein paar Tagen eröffnet eine zweite Filiale am Maßmannpark und demnächst erscheint Allarys erstes Buch, eine vegane Eis-Bibel, in der sie ihre Rezepte verrät. Lenbachplatz 7 Von bodenständig bis exklusiv: Münchens Gastronomie hat viele nachhaltige Konzepte in der gesamten Bandbreite zu bieten Sechs kleine Kugeln vom Eisbrunnen zum Probieren. Sigi Müller So schön bunt sehen die Pflanzen im Mural Farmhouse dann auf dem Teller aus. Foto: ruf Rico Birndt kümmert sich selbst um das Gemüse auf dem Dachgarten des Mural Farmhouse. Foto: Mural Farmhouse Die Heimwerk-Restaurants, hier im Tal, sind mit viel Holz eingerichtet. Foto: Heimwerk Kustermann will 70 Prozent seines Strombedarfs erzeugen Schön ist der Blick vom Alten Peter auf München: Die historischen Gebäude der Altstadt liegen zu Füßen des Betrachters, der Blick fällt auf sonst verborgene Innenhöfe und – auf viele bunte Dächer. Solaranlagen sieht man auf den Dächern so gut wie keine. Nur ein mickriges Prozent betrug der Anteil noch vor einem Jahr. Doch das wird sich bald deutlich ändern – sogar auf Gebäuden, die in der Altstadt unter Ensembleschutz stehen. Und die in ihrem äußeren Erscheinungsbild, auch von oben betrachtet, besonders schützenswert sind. Das Traditionshaus Kustermann am Viktualienmarkt wird dabei Vorreiter sein. Wäre es nach Geschäftsführer Caspar-Friedrich Brauckmann gegangen, würden die vielen Lampen in dem Haushaltswarenfachgeschäft (Firmengründung 1798) längst durch Solarstrom zum Leuchten gebracht. Doch er muss noch auf die Genehmigung warten. Bereits vor elf Monaten hatte Brauckmann zum Pressetermin auf die Dachterrasse des Hotels Louis geladen, um vom Plan des Familienunternehmens zu berichten (AZ berichtete): Eine hohe sechsstellige Summe wollte man auf den drei Dächern für Solarmodule investieren und so 20 Prozent des Energiebedarfs für das eigene Geschäft decken. Tatkräftige Unterstützung kam von der grünen Bürgermeisterin Katrin Habenschadenund von der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag Katharina Schulze. Beide forderten eine schnelle Gesetzesänderung. Im strengen bayerischen Denkmalschutzgesetz waren Photovoltaikanlagen bis dahin auf denkmalgeschützten Häusern verboten, auch auf Gebäuden mit Ensembleschutz erteilten die Behörden fast durchweg Absagen. Inzwischen ist einiges passiert: Im Sommer 2022 hat die bayerische Staatsregierung eine Novellierung beschlossen. PV-Anlagen sollen nun auch auf denkmalgeschützten Gebäuden möglich sein. In der Zeit, in der Kustermann darauf wartete, loslegenzu können, hat Brauckmann mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege und der Unteren Denkmalschutzbehörde ein detailliertes Konzept erarbeitet, wie die Solar-Anlage auf den ensemblegeschützten Kustermann-Gebäuden realisiert werden kann. Seit zwei Wochen ist das Konzept fertig. Nun liegt es bei der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt. Am Freitag teilte ein Sprecher mit: Bis 30. Juni sollte es klappen mit der Genehmigung. Das Warten hatte noch mehr positive Seiten. Zwar rechnet Kustermann mittlerweile mit gestiegenen Kosten – nämlich einem niedrigen siebenstelligen Betrag – aber dank weiterentwickelter Technik auch mit einer höheren Energiegewinnung: „Heute gehen wird davon aus, dass wir bis zu 500 000 Kilowattstunden Strom erzeugen können“, so Brauckmann. Durch neue LEDLampen konnte gleichzeitig der Gesamtbedarf an Energie um 25 Prozent gesenkt werden. Fazit: „Etwa 70 Prozent des Stroms, den wir für unseren Einzelhandel brauchen, werden wir selbst erzeugen können.“ Brauckmann sieht in dem Konzept eine „Blaupause für denkmalgeschützte Ensemble in ganz Bayern“. Und auch Bürgermeisterin Habenschaden ist hochzufrieden über die gute Zusammenarbeit der Denkmalbehörden und Kustermann und das Ergebnis: „Hier steckt sehr viel Potenzial für den Klimaschutz drin!“ Bleibt noch die Optik. Wie wird das Ganze dann mal ausschauen vom Alten Peter aus? „Von außen wird man fast gar keinen Unterschied sehen“, sagt Brauckmann. Dafür wird das Dach teilweise abgedeckt, die Module innen verbaut. Zudem sollen Paneele eingefärbt werden. Nina Job Photovoltaikanlagen auf geschütztenGebäuden in der Altstadt: Stadt will bald Erlaubnis erteilen Brauckmann mit einem PV-Modul. Kustermann Bis Ende 2023 will Kustermann Solaranlagen auf seinen drei Dächern anbringen. Foto: Simon Parat/ho

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