Die nachhaltige Abendzeitung

Bitte nicht schummeln! Man sollte niemanden den Kulturgenuss vermiesen, aber natürlich ist Kultur nicht per se klimaneutral zu haben. Carsten Gerhard ist Umweltberater und macht Konzepte zur Verbesserung der Umweltbilanz von Theatern, Museen oder Festivals. Und das wirft kompliziertere Fragen auf, als man denkt. AZ: Herr Gerhard, auch Orchester, Museen und Kulturschaffende wollen jetzt „grüner“ werden. Ist das eine Imagefrage oder Greenwashing? CARSTEN GERHARD: Vorreiter in der Kultur war interessanterweise der Film. Die Filmbranche hat seit einiger Zeit bereits ein eigenes Label „Green Motion“. Bestimmte Filmförderungen erhalten nur Produktionen mit CO2-Bilanz. Seit drei Jahren folgen auch Museen, Theater, Bibliotheken nach. Vieles passiert freiwillig. Aber auch die staatlichen und städtischen Träger machen nun Vorgaben. München zum Beispiel hat das Ziel gesetzt: „Klimaneutral bis 2030“. Es geistern da Begriffe wie „klimaneutral“, „Netto-Null“ oder „Treibhausgas-Neutralität“ in der Diskussion herum. Da geht es schon los mit Unschärfen, die häufig bei den politischen Vorgaben existieren. „Klimaneutralität“ ist also nicht gleich „TreibhausgasNeutralität“? Klimaneutralität ist der strengere Begriff, weil er alle menschlichen Eingriffe einbezieht, also zum Beispiel auch Bodenversiegelung oder Wärme-Abstrahlung von Gebäuden. Die Treibhausgasneutralität betrachtet dagegen ausschließlich die Emission von klimaschädlichen Gasen wie CO2, Methan, fluorierten Kohlenwasserstoffen oder Lachgas. Meist geht es in den Betrachtungen ausschließlich um die Treibhausgase. Auch hier herrscht vielfach Unklarheit: Welche Emissionen soll sich ein Kulturbetrieb zurechnen lassen? Und: Nach welchem Modell bilanziert er überhaupt? Misst man einheitlich alle nach den gleichen Standards? Nein. Kommunen verwenden in der Regel die sogenannte „Bisko“, also die sogenannte „Bilanzsystematik Kommunal“. Die fragt, wieviel Emissionen werden auf dem Gebiet der Kommune emittiert. Institutionen und Unternehmen bilanzieren dagegen meist nach dem „Greenhouse Gas Protocol“, das nach den eigenen Emissionen fragt – auch jenen, die vielleicht ganz weit entfernt entstehen. Denken Sie etwa an den Druck von Katalogen im Ausland oder die Anreise einer Künstlerin oder eines Orchesters mit dem Flugzeug. München arbeitet daher übrigens mit beiden Systemen und ist da anderen Kommunen voraus. Was braucht es, um „grüne Kultur“ voranzubringen? Viele Kulturinstitutionen wollen ihren Footprint senken. Aber dafür braucht es Personal und Investitionen. Die gute Nachricht: Häufig lohnt sich das schnell auch finanziell für den Kulturbetrieb. Um wirklich auf demWeg zur Treibhausgasneutralität voranzukommen, braucht es eine extra und neue Form von Umweltmanagement und dafür also die entsprechende politische und finanzielle Förderung. Das fängt an mit einer systematischen Erfassung der Umwelteinflüsse, allen voran in einer jährlichen Treibhausgasbilanz. Es geht weiter über die Klärung von Zuständigkeiten, der Bereitstellung von finanziellen und personellen Ressourcen, die Erstellung von Maßnahmenplänen bis hin zum Reporting und Controlling, wie gut der Prozess läuft. Heute wissen viele Institutionen, in die wir als Green Consultants kommen, noch nicht einmal, aus welchen Quellen ihr Strom kommt oder wie ihre Gebäudeklimatisierung funktioniert. Da erschrecken viele erst einmal. Auch, weil so etwas wie Gebäudetechnik von der Leitungsebene, die sich selbst oft vor allem künstlerisch versteht, ganz weit weg ist. Womit sollte man anfangen? Mit einer systematischen Erfassung der Umwelteinflüsse, wir nennen das „Green Screening“. Es gibt klassische Schwerpunkte: Die Klima- und Heizungstechnik etwa oder die Beleuchtung. Noch immer werden vielfach Leuchtstoffröhren oder Halogenlampen verwendet. Da haben dann Ausstellungshallen und Werkstätten noch 1000 Leuchtstoffröhren an der Decke a 50 Watt, die 12 Stunden am Tag durchlaufen. So kommen schnell hunderttausende Kilowattstunden im Jahr zusammen. Weitere übliche Verdächtige in Sachen großer Verbräuche sind Klimaanlagen, Ventilatoren der Lüftung, die Heizung natürlich, aber auch Computerserver und ihre Kühlung. Einen schnellen Effekt für die Klimabilanz bringt der Wechsel zu zertifiziertem Ökostrom. Doch vor allem muss man den Energieverbrauch selbst drosseln. Zur Energiewende gehört das Energiesparen. Am Ende des Weges zur Treibhausgasneutralität werden nicht vermeidbare Emissionen übrigbleiben, für die es keine andere Lösung gibt als die CO2-Kompensation. Die Rangfolge muss lauten: vermeiden, reduzieren, kompensieren. Was sind zentrale Fragen beim Aufsetzen einer Treibhausgasbilanz? Da ist zum einen die Frage nach den Grenzen. Welche Emissionen rechnet sich ein Kulturbetrieb zu? Wie geht man etwa mit der verpachteten Museumsgastro oder demMuseumsshop um? Beziehen Museen die Wanderausstellung in ihre Bilanz ein? Oder ein Orchester, das in einer anderen Stadt zu Gast ist: Muss einbezogen werden, was dort ökologisch los ist? Zum zweiten ist wichtig: Welche Emissionen erfasse ich, die durch meinen Kulturbetrieb mittelbar entstehen: sogenannte „Scope 3-Emissionen“. Zum Beispiel: Wie kommen meine Gäste? Mit dem Auto? Mit der U-Bahn? Mit dem Fahrrad? Für die Umwelt und die CO2-Bilanz ist es daher klasse, dass bei städtischen Veranstaltungen der MVV mit dabei ist. Weitere Beispiele für Scope 3: Welche Emissionen entstehen bei der Vorkette von Strom, Wärme und Kälte? Oder: Welchen Fußabdruck hinterlassen Waren und Dienstleistungen, die Kulturinstitutionen erwerben? Dürfen Kulturbetriebe eigentlich teureres Ökopapier oder Computer mit Blauem Engel kaufen? Müssen sie nicht sparsam wirtschaften? Das Vergaberecht erlaubt mittlerweile ausdrücklich die Einbeziehung von umweltbezogenen Kriterien. Und auch beim Einkauf von Dienstleistungen haben Kulturbetriebe Steuerungsmöglichkeiten. Bei den Europäischen Wochen Passau, deren Intendant ich bin, verpflichten wir zum Beispiel Werbeagenturen zum Bezug von Ökostrom. Was sind dann Mogelfaktoren bei der Ökologisierung? Ich kenne keinen Kulturbetrieb, der mogelt. Ich habe den Eindruck, dass das Engagement ernst gemeint ist. Das Problem ist vielmehr, dass es häufig an der Expertise fehlt sowie am Geld und an den Personalressourcen. Treibhausneutralität ist ein großes Projekt, das nicht nebenbei in einer kleinen Arbeitsgruppe erledigt werden kann. Vor allem sollten die Träger ihren Kulturbetrieben ermöglichen, das nötige Know How aufzubauen und zu investieren. Dafür müssen auch die gebäudebetreibenden Stellen mit an Bord. Denn häufig sind Kulturinstitutionen nur Nutzer in den Gebäuden. Ich kenne Fälle in Süddeutschland, wo eine Lichtsanierung, die zehntausende Euro an Stromkosten und Tonnen an CO2-Emissionen jährlich einsparen würde, einfach an mangelnden Planungskapazitäten des zuständigen Bauamtes scheitert. Seit Jahren. Wenn in der Isarphilharmonie auch viele private Veranstalter Konzerte durchführen, hat man ja keinen Einfluss auf deren ökologisches Verhalten. Ich halte es durchaus für möglich, entsprechende Anforderungen für Vermietungen zu definieren. Müssen die Veranstalter selbst Kriterien ökologischer Nachhaltigkeit erfüllen, damit sie den Raum und die städtische Infrastruktur buchen dürfen? Müssen sie in die Eintrittskarte eine MVG-Ticket integrieren? Welche Rolle muss man bei der Kultur noch einbeziehen? Zum Schluss ganz positiv: Kunst und Kultur erreichen den Menschen besonders tief in seinem Menschsein. Sie können helfen, Bewusstsein und Handlungsbereitschaft zu erzeugen: Das bessert ja dann auch wieder die kulturelle Ökobilanz. Um diese Wirkungen zu beschreiben, gibt es neben dem ökologischen Footprint den sogenannten Handprint: Der erfasst das positive Umwelthandeln. Der Handprint von Kunst und Kultur ist dabei immens. Adrian Prechtel Vom Museumscafé bis zum Shop, vom Licht bis zur Anfahrt: Was man alles mitdenken muss, wenn Kultur klimaneutral werden soll AZ-INTERVIEW mit Carsten Gerhard Der 46-Jährige ist Intendant und Kulturmanager. Als zertifizierter „Green Consultant“ („grüner Berater“) begleitet er Kulturbetriebe wie das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst dabei, grüner zu werden. Foto: Saskia Wehler Schon viel getan: das Museum Ägyptischer Kunst in München Die Doppelstatue des Niuserrê, entstanden um 2390 vor Christus, ist ein Hauptwerk des Museums und erzählt von der Doppelnatur dieses Königs als Mensch, der dem Alterungsprozess unterworfen ist, und als ewig junger Gott (rechts). Foto: smok/Marianne Franke während der Öffnungszeiten zu gewährleisten. Museumsdirektor Arnulf Schlüter hofft, dass man den reduzierten Energieverbrauch halten kann – bei sämtlichen Witterungen und das ganze Jahr über. Auch im Bereich der Beschaffung achtet man seit 2021 systematisch auf die Umwelt. Druckprodukte werden mittlerweile fast ausschließlich auf Recyclingpapier mit Sigel gedruckt und bei speziellen „Umweltdruckereien“ eingekauft, die unter anderem mit wasserschonenden Druckprozessen und Ökostrom arbeiten. ums, durch die Temperatur und Luftfeuchtigkeit weitgehend stabil bleiben und die Objekte keinen Schaden nehmen. Bei der achtstündigen Nachtabschaltung sinkt allein der Stromverbrauch um bis zu 50 Prozent. Bereits in der Testphase hat sich gezeigt, dass Einsparungen von rund 140 Kilogramm CO2 pro Tag drin sind. Rechtzeitig vor Öffnung des Museums werden die Ventilatoren wieder angeschaltet, um sowohl eine entsprechende Frischluftversorgung und Luftqualität sicherzustellen, als auch Klimastabilität Stein ist einigermaßen unempfindlich und braucht es auch nicht sonderlich warm. Insofern dürften diese leicht bekleideten Zwillinge – es geht um die Doppelnatur des Königs Niuserrê – auch nicht frieren. Doch im Ernst: Das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst hat sich im Jahr 2021 auf den Weg zum „grünen Museum“ gemacht und spart bereits seit November in der Nacht ordentlich Strom. Von 22 bis 6 Uhr ruhen die Lüftungsventilatoren. Das funktioniert dank der unterirdischen Lage des MuseEIN GREEN CONSULTANT ERKLÄRT, WORAN MAN ALLES DENKEN MUSS, WENN DIE KULTUR KLIMANEUTRAL WERDEN SOLL ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG/MONTAG, 29.4./30.4./1.5.2023 WWW.ABENDZEITUNG.DE 33 KULTUR

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