Die nachhaltige Abendzeitung

Ist das noch paradox oder doch schon Greenwashing? Die beste Eishockeyliga der Welt behauptet: „In der NHL ist Wasser unsere DNS“, womit sie im Kern Recht hat – ohne Wasser keine Eisfläche und damit auch kein Eishockey. Doch gleichzeitig umfasst die NHL Klubs und deren Eishallen in der Wüstenstadt Las Vegas, im heißen Südkalifornien und in den Glutöfen von Texas und Arizona. An einigen dieser Standorte gibt es für die Bürger phasenweise angeordnete Wasserrationierung. . . Die NHL ist in diesen trockenen Regionen ein Eindringling, ein „Wirtschaftsflüchtling“. Das Eishockey ist dort nicht daheim. Aber wo ist es das (im Profibetrieb) streng genommen schon noch? Seine angestammten Habitate – Weiher, Seen, und sonstige gefrorene Flächen in kälteren Zonen – hat das Eishockey auch hierzulande längst verlassen. Es wollte weg vom dünnen Eis und den Launen der Natur, hin zu verlässlichem Kunsteis – es hat sich zur Hallensportart gemacht. Angesichts des Klimawandels ein unumkehrbarer Tausch, selten ist es draußen zapfig genug für Sport auf vereisten Seen. Doch die Frage bleibt: Geht der Kuhhandel noch auf? Der Eishockey-Sport hat sich zwar unabhängig von der Willkür des Wetters gemacht, im Gegenzug unterwarf er sich der Energie. Und inzwischen bewegt sich das Eishockey auch da – auf dünnem Eis. Seit dem Angriff des GasDealers Russland auf die Ukraine ist Energie ein teurer Spaß geworden, die Preise haben sich – bei Vertragsneuabschluss – nicht selten vervielfacht. Und ressourcenreich war der menschengemachte Eissport schon zuvor. Ein Beispiel: Das altehrwürdige Eisstadion am Oberwiesenfeld benötigt an einem Spieltag circa 6200 kWh Strom pro Tag für Licht und Kälte und circa 5200 kWh Fernwärme, für das Jahr rechnet der Olympiapark mit einem Verbrauch rein fürs Eishockey von rund 2,2 Mio. kWh Strom und 1,8 Mio. kWh Fernwärme. Das ist der Gesamtjahresbedarf von mehreren Hundert FamilienHaushalten – für ein Stadion, das aber Millionen Eisläufer, Spieler und Besucher anlockt. Wie nachhaltig ist der Pucksport hierzulande? Die Deutsche Eishockey Liga (DEL) kommt, anders als die NHL, ohne Wüstenklubs aus, wobei auch in vielen deutschen Städten die Wasserbilanz negativ ist. Und einmal Eismachen verschlingt rund 1000 Liter Wasser. „Das Eishockey ist schon sehr nachhaltig“, sagt Jörg von Ameln und verweist auf das kürzlich vorgestellte viergliedrige Nachhaltigkeitskonzept. „DEL4 – das vierte Drittel“ heißt es und wurde in Zusammenarbeit mit einem externen Berater erstellt. Es geht, vereinfacht gesagt, um fairen Sport, der für alle Menschen da ist, den Nachwuchs fördert – und eben die Umwelt schützt. DEL-Spielbetriebsleiter von Ameln: „Der Punkt Natur hat jetzt natürlich eine hohe Priorität. Uns sind zugleich alle vier Bereiche extrem wichtig.“ Es soll gespart werden. Einige Punkte des Konzepts, darunter die Erfassung des eigenen CO2-Fußabdrucks, muss künftig jeder Klub im Lizenzierungsantrag nachweisen – ansonsten fliegt er aus der Liga. Die DEL orientiert sich in ihrer Messung und Zielsetzung am Greenhouse Gas Protocol (GHG Protocol). Die Klubs weisen künftig die Energie aus, die sie einkaufen und erzeugen. Oben drauf – Punkt drei des GHG Protokolls muss nicht voll erfüllt werden – wird auch nach den Emissionen der Mobilität von Fans, Mannschaft und Betreuern verlangt. Der Zuschauerverkehr zum Spiel und wieder heim ist der größte Umweltsünder. Das haben Forscher zur finnischen Liga errechnet (Studie liegt der AZ vor). Demnach verursachte die An- und Abreise der Fans 63 Prozent des gesamten CO2-Fußbabdrucks der Liga (6521,5 t CO2-eq). Der Energiebedarf für die Halle machte 27 Prozent aus. Eine weitere finnische Studie ermittelte, dass beim kleinen, zuschauerschwachen Klub Jukurit Mikkeli durch den Zuschauerverkehr rund 10 000 kg CO2-eq entstehen, rund ein Zehntel mehr als durch die An- und Abreise der Spieler. Rund 79 Prozent der Fans reisten mit dem Auto an. Das Fan-Verhalten – ein entscheidender Punkt in ihrer Energiebilanz, den die Klubs nur durch Gutzureden beeinflussen können. Nichts, was sie direkt selbst tun können wie die Umstellung auf LED-Beleuchtung, die Einführung von Mehrwegbechern oder den Einbau eines EnergieManagements. Von Ameln erzählt darum von Fan-Abenden der Klubs, „bei denen die Werte erläutert werden“. Das ÖPNVTicket ist bei 13 der 14 Teams (auch beim EHC Red Bull München) in der Eintrittskarte inbegriffen. „Es bewegt sich schon was“, meint von Ameln mit Blick auf die Parkhausbelegung. In der reinen Bittsteller- und Mahnerrolle – wie schon bei den Fans – sind die (meisten) deutschen Klubs auch bei neuer, ressourcenschonenderer Infrastruktur. In aller Regel ist die Kommune der Hallenbetreiber, selbst in der DEL ist das Stadion nur in derzeit fünf Fällen in (quasi-)privater Hand. Der Deutsche Eishockey-Bund, neben den Nationalteams auch für den Amateursport zuständig, schreibt in einem Positionspapier zur Energiekrise: „Mittel- bis langfristig gilt es, die Eishallen von fossilen Energien unabhängig zu machen und nachhaltig, CO2-neutral zu sanieren.“ Im europäischen Ausland, etwa in Tampere (Finnland) oder bei einer durch Erdwärme betriebenen Halle in Norwegen, hat sich was getan. In Deutschland? Da gibt es viele alte Hallen. Am Ende geht es eben darum, wer zahlt. Die Kommunen sehen die Eishallen von Amateur- und Nachwuchsteams inzwischen oft als ersten Sparfaktor im Haushalt. Gerade in Bayern geht nun die Angst um. Wie Frank Butz, Eishockey-Obmann des Bayerischen Eissport-Verbandes, der „Eishockey News“ sagte, überlegten rund die Hälfte der Betreiber der rund 90 bayerischen Eishallen, deren Pforten zur nächsten Saison zuzulassen oder sie kürzer zu öffnen. „Der Eissport in Deutschland ist in einem schleichenden Sterbeprozess“, meinte Butz. Wenn sich denn nichts ändert. . . Für die Profiligen steht weniger die kurzfristige, eher die langfristige Existenz auf dem Spiel. Von Ameln hält das DEL-Konzept, das in jedem Klub von einem Beauftragten überprüft werden muss, für maßgeblich: „Nachhaltigkeit hat jetzt auch eine finanzielle Komponente für die Klubs. Ich glaube an unser Konzept – wir wollen ja auch in 100 Jahren noch DEL-Eishockey sehen.“ Das DEL-Büro in Neuss hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 die Hälfte der Emissionen einzusparen und bis 2040 klimaneutral zu arbeiten. Von Ameln sagt: „Dieses Ziel haben wir auch unseren Klubs mitgegeben.“ Seine Perspektive: „Wir sind auf dem Weg, alleine schaffen wir das aber nicht. Jeder ist gefragt.“ Es brauche die Hilfe der Politik – und der Fans. Martin Wimösterer Eishockey ist dem Wetter entkommen, hat sich aber von der Energie abhängig gemacht. Die DEL legt sich nun ein viergliedriges Nachhaltigkeitskonzept auf – damit der Sport auch langfristig noch fortbesteht „Nachhaltigkeit hat jetzt auch eine finanzielle Komponente für die Klubs“: Die Deutsche Eishockey Liga misst ihren CO2-Fußabdruck. Sie will und muss einsparen. Foto: Jürgen Fromme, firo/Augenklick ‚‚ Eissport ist im schleichenden ‘‘ Sterbeprozess Auf dünnem Eis Zwischen Muss, Kann und Glaubwürdigkeit So energieintensiv wie beim Eishockey geht es weder im Basketball, noch bei Handball und Volleyball zu. Jedenfalls, was die reine Ausführung des Sports betrifft. Arena und Parkett- oder PVC-Boden, das genügt. Künstliches Eis – nicht nötig. Drumherum aber ähneln sich die Probleme auch in den anderen drei großen Teamsport-Ligen abseits des Fußballs. Und die bisher konkretesten Schritte hat die BBL, die Basketball-Bundesliga, unternommen. Ab der Saison 2023/24 gehören Nachhaltigkeitskriterien zu den Lizenzbestimmungen. Heißt: Wer nicht leisten kann, was verlangt wird, muss mit Geldstrafen, sportlichen Sanktionen oder gar dem Entzug der Zulassung rechnen. Die Klubs, so führt die BBL aus, verpflichten sich auf jeweils zehn spezifische verbindliche Muss-Ziele, auf eine jährliche Überprüfung in einem verbindlichem Nachhaltigkeitscheck und eben jene abgestuften Sanktionen. „Die schönste Strategie bleibt Schall und Rauch, wenn sie nicht in eine Verbindlichkeit überführt wird. Wer A sagt, muss auch B sagen. Das zeigt sich vor allem in der Ultima Ratio, der Lizenzverweigerung“, erklärt BBL-Geschäftsführer Stefan Holz. So weit ist die Handball-Bundesliga HBL noch nicht, aber ins Auge gefasst sind derartige fixe Maßgaben ebenfalls. Grundsätzliches Leitbild für die eigene Strategie seien die 17 Nachhaltigskeitsziele der Vereinten Nationen. „Wir fokussieren uns auf für uns relevante und machbare Ziele und leiten davon entsprechende Handlungsfelder ab“, sagt Kommunikations-Chef Oliver Lücke der AZ. In Abstimmung mit den Klubs sollen Leitplanken erarbeitet werden. „Von entscheidender Bedeutung ist für uns“, erklärte Lücke, „dass wir auch bei der Nachhaltigkeit glaubwürdig wachsen. Hier geht gut vor schnell.“ Schließlich sei das Thema auch für Fans und Sponsoren ein zunehmend wichtiger Faktor. Im Stadium der „freiwilligen Selbstverpflichtung“ befindet sich die Volleyball-Bundesliga VBL. Der Baustein Nachhaltigkeit ist im Ethikcode verankert, was bedeutet, die Klubs und auch die Liga richten sich danach aus. „Wir haben sowohl als Liga als auch unsere Vereine wichtige Schritte unternommen“, berichtet VBL-Geschäftsführerin Julia Retzlaff. Retzlaff sieht die höchste Volleyball-Spielklasse beim Thema Nachhaltigkeit „auf einem guten Weg“ – mit gewissen Reserven: „Wir werden weiter daran arbeiten, um noch besser aufgestellt zu sein. Aktuell prüfen wir, welche Maßnahmen wir einheitlich ligaweit umsetzen können.“ Ohne Nachhaltigkeitsinitiativen wird es in keinem Sport mehr gehen. Ruben Stark Im Basketball gibt es bald verbindliche Kriterien, auch Handund Volleyball sind aktiv Nachhaltigkeit ist in der BBL künftig ein Lizenzthema. Foto: dpa 22 ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG/MONTAG, 29.4./30.4./1.5.2023 WWW.ABENDZEITUNG.DE SPORT WIE GEHEN DIE GROSSEN PROFILIGEN MIT DEM THEMA NACHHALTIGKEIT IN IHREM SPORT UM?

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