Die nachhaltige Abendzeitung

SPORT FC Bayern Das Krisen-Duell gegen die Hertha SEITE 24 21 SPORT ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG/MONTAG, 29.4./30.4./1.5.2023 WWW.ABENDZEITUNG.DE TELEFON089 23 77-3100 E-MAIL SPORT@ABENDZEITUNG.DE EHC München Don Jackson: Die Legende hört auf SEITE 27 „Ich bin tatsächlich guter Hoffnung und glaube an eine Rückbesinnung, an die Wiederkehr eines entschleunigten Tourismus“, sagt der legendäre Extrembergsteiger Reinhold Messner aus Südtirol. Foto: Ronny Kiaulehn/dpa „Weniger Konsum, Entschleunigung, mehr Stille, Respekt vor der Natur“ AZ: Herr Messner, kommendes Jahr feiern Sie Ihren 80. Geburtstag. Stimmt es Sie manchmal traurig, wie sehr sich Ihre Heimat Südtirol in diesen acht Jahrzehnten verändert hat? REINHOLD MESSNER: Im Gegenteil, ich bin sehr glücklich, dass es nicht mehr das Südtirol meiner Kindheit ist. In den Nachkriegsjahren waren wir das ärmste Stück Italiens, heute sind wir die reichste Provinz. Diesen Wandel haben wir fast ausschließlich dem Tourismus zu verdanken, weshalb ich den Tourismus auch nicht pauschal verurteile. Die Frage ist nicht: Tourismus ja oder nein. Die Frage ist, wie gestalte ich den Tourismus, wie sorge ich für ein Umdenken hin zu mehr Nachhaltigkeit, damit Südtirol auch in 100 Jahren liebenswert und lebenswert bleibt. Das Umdenken müsste aber sehr schnell einsetzen, in den letzten Jahren wurde Südtirol von Ausflüglern und Urlaubern ja völlig überrannt. Die Menschen müssen die Natur wieder erleben, um sie zu respektieren. Ich arbeite gerade an einem Projekt, Kinder und Jugendliche aus dem Ruhrpott nach Südtirol zu bringen, damit sie Berge greifen und begreifen können. Ohne diese haptische Erfahrung, ohne das Erleben und Erkennen der Umwelt werden sie ansonsten keinen Zugang dazu finden. Die Kinder heute sehen die Welt doch nur noch durch das Tablet oder das Smartphone, aber nicht mehr reale Wildnis. Sogar in Ihrem Heimatdorf? Ja, auch dort und sogar, wie ich bei meinen letzten Besuchen feststellen musste, in Nepal. Früher hat man sich auf Wanderungen und Expeditionen dort gegenseitig begrüßt, hat die Hände gefaltet und sich mit einem „Namaste“ verbeugt. Das gibt es nicht mehr, weil auch die Menschen dort beim Gehen nur auf ihr Handy starren. Bei allen positiven Errungenschaften ist die Digitalisierung für die Natur und für entschleunigten Tourismus eine große Gefahr. Wenn ich an die Influencer denke, die einen unscheinbaren Ort in den Bergen wie den Pragser Wildsee im Hochpustertal in einen Hotspot transformieren, der von Horden zehntausender Touristen pro Woche so sehr heimgesucht wird, dass man den Zugang beschränken muss, dann läuft etwas falsch. Was stimmt Sie denn zuversichtlich, dass es wieder in die richtige Richtung laufen könnte? Haben Sie wirklich Hoffnung oder fürchten Sie nicht, dass die Auswüchse des Massentourismus auf Kosten der Natur noch zunehmen? Ich bin tatsächlich guter Hoffnung und glaube an eine Rückbesinnung, an die Wiederkehr eines entschleunigten Tourismus. Südtirol hat es geschafft, die Kultur der Bergbauernhöfe am Leben zu halten und allmählich die Landwirtschaft mit dem Tourismus zu verzahnen. Mit Lebensmitteln, die die Bauern ihren Gästen aus eigener Herstellung anbieten, Fleisch, Obst, Gemüse, das sie nach alten überlieferten Rezepten zubereiten und servieren. Regionale Produkte, die die Urlauber nach ihrer Rückkehr nach Hause in Hamburg, Hannover oder wohin auch immer dann im Bio-Supermarkt kaufen. Diese Bauern, die Landschaftspfleger, sollen davon profitieren und die Berge erzählen. Das ist wichtig, weil der Besuch auch bei ihnen zu einem Umdenken führt. Das ist ein neuer und bei uns sehr erfolgreicher Weg hin zu einem nachhaltigen Tourismus, zu mehr Lokalkolorit. Ist das nicht zu idealistisch gedacht? Was nützt der Bio-Apfel, wenn wie geplant im Pitztal bald tonnenschwere Maschinen anrücken, um den Berg zu zerfräsen, um ein neues Gletscherskigebiet zu errichten? Natürlich ist das völlig sinnlos und auch scharf zu verurteilen. In Zeiten, in denen der Schnee immer weiter in die Höhe wandert, hat es keinen Zweck mehr, Seilbahnen zu bauen, wo Skilauf bald nicht mehr möglich ist. Ich beobachte dafür aber immer mehr Menschen in meiner Heimat, die sich dem konventionellen Skitourismus widersetzen. Es gibt eine enorme Zunahme an Langläufern, Schneeschuhwanderern und Tourengehern, die mit großer Rücksicht dorthin gehen, wo sie der Natur nicht wehtun. Im Spitzensport scheint man sich um Ökologie nicht zu kümmern, FIS-Präsident Johan Eliasch feierte sich für seine Pläne einer Gletscher-Abfahrt am Matterhorn, wofür man Gletscherspalten zuschieben und Beschneiungsanlagen anwerfen musste bevor das Rennen dann ausfiel. Muss sich nicht der alpine Skirennsport neu erfinden? Weniger Piste, mehr Wildnis. Wir müssen zurück zum traditionellen Alpinismus – Winter wie Sommer. Weniger Konsum, mehr Stille, Entschleunigung, Respekt vor der Natur. Haben Olympische Winterspiele eine Zukunft angesichts des Klimawandels? Winterspiele gehören dorthin, wo die Infrastruktur da ist. Innsbruck oder Garmisch zum Beispiel. Die Nachhaltigkeit muss im Mittelpunkt stehen. Man muss aber auch sagen, die globale Erwärmung ist nicht entstanden, weil in den Alpen Menschen zum Skifahren gehen oder Hotels beheizt werden. Sie ist ein Resultat der letzten 200 Jahre, in denen die Industrie mit billigen fossilen Brennstoffen uns zu Reichtum und Wohlstand verholfen hat. Das ist auch das, was ich der Frau Thunberg mit auf den Weg gebe. Es ist richtig, dass sie demonstriert und protestiert. Sie muss aber auch, wenn sie es ernst meint, Verantwortung übernehmen. Da reicht es nicht, wenn sie Schule schwänzt. Sie soll studieren und technologische und physikalische Antworten finden und in die Politik gehen, um etwas zu verändern. Aber können Sie die Ängste der Jugend nicht nachvollziehen? Eine Generation, die befürchten muss, dass sie die Konsequenzen der Erderwärmung hautnah zu spüren bekommt? Ich fände, es gebe einen einfachen Weg für uns alle. Ich habe mit meiner Frau in einem Buch niedergeschrieben, was Verzicht bedeuten könnte. Wenn die Menschheit ein Drittel aller Nahrungsmittel wegschmeißt, wäre es doch sinnvoll, das Konsumverhalten zu ändern und einfach ein Drittel weniger zu kaufen. Sich zu hinterfragen, sich zu reduzieren, damit wäre der Menschheit und dem Planeten viel geholfen. Eine einfache Möglichkeit für alle jungen Leute, die Angst haben. Halten Sie das für realistisch? Wo Klimaschutz doch vielen Menschen nur dann genehm ist, wenn er ihnen nicht wehtut? Ich sehe den Verzicht tatsächlich als den richtigen und wichtigen Weg und bin überzeugt, dass man mit solchen Ideen die Menschen viel eher überzeugen kann als mit hysterischen Gebärden von Klima-Aktivisten, die sich auf die Straße kleben. Damit gewinnen sie niemanden für ihre Sache, sondern schüren nur Wut und sorgen dafür, dass das Interesse an der Thematik abnimmt. Es ist der freiwillige Verzicht, der Sinn stiftet und Hoffnung macht. Ist das alles dann in Ihren Augen reine Panikmache? Nein, die Erderwärmung ist eine reale Gefahr. Natürlich droht das Weltende. Unbestritten. Aber nein, die heutige Jugend ist nicht die letzte Generation. Die Menschheit wird noch viele Generationen erleben. Es wird auch positive Effekte geben, in zehn Jahren werden wir in Südtirol Bio-Äpfel auf 1500 Meter anbauen, die aufgrund der intensiveren Sonneneinstrahlung mehr Vitamine haben. Wenn wir nur protestieren, resignieren und keine Lösungen anbieten, wenn wir den Teufel an die Wand malen und sagen, dass die Welt bald untergeht, geht sie bald wirklich unter. Interview: Florian Kinast Der Extrembergsteiger und Naturliebhaber ReinholdMessner spricht exklusiv in der AZ über den Klimawandel – und die letzte Generation AZ-INTERVIEW mit Reinhold Messner Der Südtiroler war der erste Mensch der Welt, der alle 14 Achttausender der Welt bestiegen hat (jeweils ohne Flaschensauerstoff). ‚‚ Ich sehe den Verzicht als richtigen und ‘‘ wichtigen Weg

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