Die nachhaltige Abendzeitung

auf die Natur oder das Weltklima. Dabei geht es zum Beispiel darum, weniger SO2 – also Schwefeldioxid – auszustoßen, als ein Flugzeug in einer Minute Flugzeit ausstößt. Heute fliegen über Europa rund 30 000 dieser Flugzeuge. Mit anderen Worten, der Einfluss dieser Experimente wäre gleich null. Darum geht es: vorsichtige Forschung, von nationalen Forschungszentren gefördert. Sie schreiben, die Bundesregierung fördere derartige Projekte bereits. Ja, das tut sie – aber derzeit noch keine Experimente draußen. Es geht vor allem um sozialwissenschaftliche Forschungen und naturwissenschaftliche im Labor. Diese Forschungen gibt es schon seit längerem, etwa auch in den USA oder der Schweiz. In den USA gibt es mittlerweile ein staatliches Forschungsprogramm, wo mit Flugzeugen und Instrumenten gemessen wird, wie hoch etwa die Konzentration von SO2 in der Stratosphäre ist. Der nächste richtige und wichtige Schritt wären Kleinstexperimente im Freien. Glauben Sie, dass – trotz aller Zweifel – solares Geoengineering einmal Teil unserer Welt sein wird? Ja, leider. Es ist leider in Sachen Klimawandel schon so spät, dass es nur mehr eine Frage der Zeit ist, bis irgendwer irgendwo versuchen wird, es anzuwenden. Tatsächlich kam es zu den ersten solcher Ballonflüge bereits. Ein äußerst verrücktes Start-up fliegt Ballone in die Stratosphäre – behauptet es zumindest – und verkauft „Kühlzertifikate“. Auch hier ist der Einfluss auf das Klima derzeit noch null. Aber wie lange noch? Und egal wer wo wie, es wäre natürlich besser, wir wüssten mehr über die Konsequenzen des solaren Geoengineerings als im Moment. Interview: Natalie Kettinger Gernot Wagners Buch „Und wenn wir einfach die Sonne verdunkeln?“ ist gerade bei Oekom erschienen und kostet 22 Euro. ße Frage, ob die Weltpolitik dem gewachsen ist. Wo müsste die Verantwortung dafür also angesiedelt sein? Im Prinzip auf allen Ebenen: G7 und G20 etwa einerseits – und zudem bei der Forschungspolitik im eigenen Land, ob in Deutschland, Amerika oder sonstwo. Hinzukommt die globale Ebene mit der Uno-Klimakonferenz und den Biodiversitätskonferenzen. Eine Lösung wäre, wenn die Forschungsgemeinschaft selbst sich für ein Moratorium des Einsatzes einer gewissen Größe dieser Technologie aussprechen würde – was gleichzeitig die explizite Erlaubnis beinhalten würde, unterhalb dieser Größe zu forschen und auch zu experimentieren. Das wäre aus meiner Sicht die richtige Balance. Aber wie lässt sich etwas derart Wirkmächtiges erforschen, ohne dass Experimente womöglich globalen Schaden anrichten? Es gibt bereits Hunderte Forschungsarbeiten, die sich mit Klimamodellen befassen. Da passiert in der wirklichen Welt erstmals gar nichts. Dazu kommen zig Laborstudien. Der nächste Schritt wäre, kleinste Experimente draußen durchzuführen. Tatsächlich haben auch die keinerlei direkten Einfluss Reis, Soja und Weizen – direktes Sonnenlicht vorziehen. Solares Geoengineering würde also die Durchschnittstemperatur senken, die Erträge von Nutzpflanzen aber nicht wieder auf den Stand erhöhen, auf dem sie ohne den Klimawandel gewesen wären. Sie schreiben, das Ganze sei außerdem mit einem moralischen Risiko verbunden. Inwiefern? Insofern, dass wir die Idee des solaren Geoengineering dazu verwenden, um den Klimaschutz wieder einmal zu verzögern. Um zu sagen: Wir brauchen keine CO2-Steuer, keine Wärmepumpen, keine E-Autos. Aber das ist keine Lösung. So geht das CO2 nicht runter, dabei hilft solares Geoengineering nicht. Bislang gibt es kein Gesetz oder internationales Abkommen, das solares Geoengineering reguliert. Braucht es so etwas? Ja – und nein. Ja, weil es ein globales Problem ist, und ein globales Abkommen deshalb fantastisch wäre. Nein, weil es schlimm wird, wenn wir darauf warten. Es gibt nun mal keine Weltregierung, die wir acht Milliarden Menschen wählen und die dann für uns das Richtige tut. Da sind ein paar Demokratien und die globale Staatengemeinschaft, die von der Uno mehr oder weniger organisiert wird. Demgegenüber steht eine Vielzahl bilateraler Treffen – das ist die Realpolitik, in der wir leben. Da solares Geoengineering eine so wirkmächtige Technologie ist, mit deren Einsatz ein einzelnes Land die Temperaturen auf der gesamten Welt senken könnte, ist die groschon mal direkt an den Finanzminister und versucht, den Verbrennungsmotor am Leben zu halten. Da geht es um rohe Profitgedanken. Das ist das Problem – und das größte Risiko: Was tun wir mit dieser Technologie? Wie wenden wir sie an? Sie befürchten, man könnte sie missbrauchen? Klar. Dann geht es plötzlich zwischen Porsche-Chef und Finanzminister nicht mehr nur um E-Fuels, sondern etwa auch um solares Geoengineering. Die großen Fragen sind tatsächlich alle politischer Natur, wer es wie anwendet: Machen wir das rational auf globaler Ebene? Oder machen es die Philippinen, Indien oder ein anderes Land, das wie Pakistan und Bangladesch sehr stark vom Klimawandel betroffen ist und die Möglichkeit hat, die Thematik selbst in die Hand zu nehmen? Oder wird es in vielerlei Hinsicht noch viel schlimmer – und Saudi Aramco finanziert eine erste Variante, um das Erdölzeitalter aus Profitgier noch ein paar Jahrzehnte in die Länge zu ziehen? Welche Gefahren birgt diese Technologie für die Umwelt? Zum Beispiel eine Verzögerung der Erholung des Ozonlochs. Hinzukommt: Die Wirkung von stratosphärischen Aerosolen geht über das bloße Dimmen der Sonne hinaus, sie streuen das Licht auch, machen es diffuser – so, wie wenn das Licht durch ein Blätterdach fällt. Manche Pflanzen bevorzugen dieses Streulicht und gedeihen im Unterholz, während andere – allen voran die wichtigsten Nahrungspflanzen wie Mais, Das teuerste überhaupt wäre, nichts gegen den Klimawandel zu tun. Viel kostengünstiger wäre echter Klimaschutz, also die Energiewende, die Transportwende und so weiter. Diese Dinge sind politisch allerdings oft schwer umsetzbar, Stichwort: Tempolimit auf der Autobahn. Die Transformation der globalen Wirtschaft kostet viele Billionen Euro, während für solares Geoengineering „nur“ einige Milliarden im Jahr investiert werden müssten. Aber wieder zurück zum wichtigsten Punkt: Das solare Geoengineering ist kein Ersatz für all diese Maßnahmen, die CO2-Emissionen müssen auf null gesenkt werden. Sie sprechen von einem gefährlichen Glücksspiel, sollte diese Technologie zum Einsatz kommen. Welche Risiken sehen Sie? Einige. Alles, über das wir bis jetzt gesprochen haben, klingt sehr rational. Hätten wir in den letzten Jahrzehnten rational agiert, gebe es heute allerdings keinen Gesprächsbedarf und keinen Klimawandel. Dann hätten wir längst etwas getan. Insofern: Willkommen in der wirklichen Welt, in der rationales Handeln nicht immer die Norm ist. Wenn wirtschaftliche Interessen im Raum stehen, wendet sich der Porsche-Chef AZ: Herr Wagner, solares Geoengineering gilt manchen als die Wunderwaffe gegen die Klimaerwärmung schlechthin. Sie haben ein Buch über diese Technologie geschrieben. Um was geht es dabei genau? GERNOT WAGNER: Keinesfalls um eine Lösung des Klimawandels. Es ist ungefähr so wie die Chemotherapie für den Lungenkrebspatienten, die für den Erkrankten natürlich sehr, sehr wichtig ist – aber der 15-Jährigen, die noch nicht mit dem Rauchen begonnen hat, würden wir nie sagen: Kein Problem, fang damit an, die Chemotherapie wird dich schon retten. Aber wie würde solares Geoengineering funktionieren? Die prominenteste Methode wäre, Aerosole – also kleinste Partikel – in die Stratosphäre einzuführen, die dann das Sonnenlicht zurück ins All reflektieren und dadurch den Planeten kühlen. Und wie gelangen diese Partikelchen in die Stratosphäre? An Bord von sehr hoch fliegenden Flugzeugen, die es noch nicht gibt. Auf natürlichemWeg wurden diese Partikelchen allerdings schon des Öfteren dorthin gebracht, meist durch Vulkanausbrüche. 1992 waren die globalen Durchschnittstemperaturen zum Beispiel ein halbes Grad niedriger, als sie es ohne den Ausbruch des Mount Pinatubo 1991 auf den Philippinen gewesen wären. Wir wissen also, dass diese Technologie im Prinzip funktionieren würde. Das zeigen auch zahlreiche Forschungsarbeiten mit Klimamodellen. Die große Frage ist allerdings: Was sind die Risiken? Befürworter sagen, solares Geoengineering sei billiger und effektiver, als der Atmosphäre CO2 zu entziehen oder die Wirtschaft zu dekarbonisieren. Haben Sie ein paar Zahlen für uns? Mit solarem Geoengineering ließen sich die globalen Durchschnittstemperaturen senken. Schnell und günstig. Warum ein Experte die Technologie trotzdem für ein gefährliches Glücksspiel hält Beim solaren Geoengineering würde die Sonne mit Hilfe kleinster in die Stratosphäre geschossener Partikel verdunkelt. Foto: imago „Die große Frage ist: Was sind die Risiken?“ AZ-INTERVIEW mit Gernot Wagner Der 43-Jährige ist Klimaökonom an der Columbia Business School in New York. Er stammt aus Amstetten in Österreich und war unter anderem Gründungsdirektor des Harvard Solar Geoengineering Research Program. Foto: Rose Lincoln ‚‚ Mais und Reis ziehen direktes ‘‘ Sonnenlicht vor ‚‚ Ein Start-up verkauft bereits ‘‘ ,Kühlzertifikate’ POLITIK Teller Das Fest der Reste SEITE 17 11 POLITIK ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG/MONTAG, 29.4./30.4./1.5.2023 WWW.ABENDZEITUNG.DE TELEFON089 23 77-3100 E-MAIL POLITIK@ABENDZEITUNG.DE Tiere Wie Zoos Energie sparen SEITE 20

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